Der Tod Verhandelt Nicht
Gesicht. Meine Tochter würde mich noch bei lebendigem Leib häuten. Sie brauchte so wenig, um meine wunden Punkte zu erspüren. Sie musste noch nicht einmal etwas sagen, um mich in einen Strudel zu reißen, der mirden Atem nahm, in dem die Zentrifuge der Erinnerungen und verpassten Gelegenheiten den giftigen Saft der Vergänglichkeit des Lebens destillierte. Der mich innerlich schreien ließ, dass es so nicht weitergehen könne. Ich musste etwas tun. Ich durfte nicht länger so in den Tag hineinleben. Wenn Aglaja so weiterbohrte, würde ihr am Ende genau das gelingen, woran ihre Mutter gescheitert war: Ich würde mich ändern.
»Aber hast du Mama geliebt?«
»Oh ja, ich habe sie sogar sehr geliebt.«
Auf ihren Lippen zeigte sich ein Lächeln, das mehr sagte als alle Worte.
Der Nachmittag kündigte sich mit einer Hitzewelle an, die den Himmel mit einem weißlichen Schleier bedeckte. Es war vollkommen windstill. Feigenbäume, Johannisbrotbäume, Hibiskus – kein Blatt rührte sich. Ich dachte an Ganci, an den hinterhältigen Streich, den er mir gespielt hatte, und fragte mich, was das eigentlich sollte. Was hatte er von mir zu befürchten? Vielleicht hatten seine Frau und Virgilio ja recht – dieser Mann verdiente kein Mitleid.
Ein Sonnenfleck zeigte sich neben dem Liegestuhl auf dem Fußboden. Genau dort, wo sich sonst immer der Hund zusammengerollt hatte, nachdem er den Pecorino verschlungen hatte.
»Wo ist eigentlich das Hündchen abgeblieben?«, fragte Aglaja unvermittelt.
Es tat mir in der Seele weh, aber ich konnte nicht umhin, es ihr zu sagen. »Ich glaube, du wirst ihn nicht wiedersehen. Sein Herrchen hat ihn geholt. Sie sind nach Hause gefahren, zurück nach Villaputzu.«
»Schade«, antwortete sie und zuckte mit den Schultern. »Ich hatte ihn gerade lieb gewonnen.«
Man merkt, dass sie schon ganz andere Verluste überstanden hat, dachte ich. Vielleicht sah sie die Dinge aber auch einfach in einem anderen Licht.
Du wirst ihn nicht wiedersehen
hatte für meine Tochter überhaupt keine Bedeutung. Ihre Jugend und ihr angeborener Optimismus ließen ihr das Leben als Raum mit vielen Möglichkeiten erscheinen. So war es auch mit ihrem Vater gewesen. Sie hatte sich nie damit abgefunden, auf ihn verzichten zu müssen.
»Laura hat mir erklärt, dass der Ehemann der Französin versucht hat, dich hinters Licht zu führen«, sagte sie jetzt in verändertem Tonfall, denn nun überwog die Neugierde. »Was hat er denn gemacht?«
»Er hat mich in dem Glauben gelassen, dass der junge Mann, den ich in Tertenia suchen sollte, tatsächlich hier ist und auf mich geschossen hat.«
Ihre Augen wurden kugelrund vor Schreck. »Er wollte dich töten?«
»Nein, er ist doch gar nicht hier. Ganci wollte mich nur dazu bringen, von hier zu verschwinden.«
»Warum?«
»Das weiß ich noch nicht. Deshalb will ich heute auch versuchen, ihm die Wahrheit zu entlocken.«
»Wie willst du das anstellen? Willst du ihn mit der Pistole bedrohen?«
»Das wird nicht nötig sein. Er ist alt und krank. Da reicht es, wenn ich ihm mit den Carabinieri drohe.«
»Mannomann, Pa. Du hast wirklich einen ganz schön harten Job.«
»Weißt du, das ist der Grund, warum ich nicht will, dass du mit Martine reiten gehst.«
»Heute früh habe ich sie am Strand gesehen.«
»Habt ihr euch unterhalten?«
Sie zog die Schultern hoch. Wie um zu sagen, dass sie nur ein bisschen über Belanglosigkeiten geplaudert hatten.
»Martine und ihr Mann, verstehen die sich gut?«, wollte sie dann wissen.
Eine gute Frage. Eine Frage, die mindestens zwei Anwesen zu je einer Million Euro wert war. Und die auch ich mir schon gestellt hatte, ohne jedoch eine Antwort zu finden. Vielleicht hatte selbst Ganci sie sich gestellt. Aber darüber mit Aglaja zu sprechen, hätte sie nur verwirrt. Lieber wollte ich sie in dem Glauben lassen, dass die Französin Teil des Komplotts war. Auf jeden Fall musste sich meine Tochter von dieser Frau fernhalten.
»Sie vertragen sich wie Hund und Katze«, antwortete ich und beugte mich zu ihr. »Aber was anderes, Aglaja. Ich habe mit Virgilio gesprochen, und wir haben beschlossen, dass ihr alle nach Cagliari fahren werdet.«
»Cool! Ich war noch nie in Cagliari.«
»Es ist kein Tagesausflug. Ihr werdet für ein paar Tage dortbleiben.«
Sie begann zu verstehen. »Und du?«
»Ich bleibe hier und schließe meinen Fall ab.«
»Und dazu muss ich verschwinden?«
»Ich will dich keinem Risiko aussetzen.«
»Du bist mir ein schöner
Weitere Kostenlose Bücher