Der Tod Verhandelt Nicht
Vater«, wetterte sie los.»Ich laufe von zu Hause weg, um dich am Ende der Welt zu besuchen, nachdem du zehn Jahre nichts von dir hast hören lassen, meine Mutter und Giovanni sind stinksauer, und du …«
»Mein Mädchen, jetzt mal langsam. Es geht mir doch nur um dich. Wenn ich dich hierbehalten würde, könnte mir deine Mutter zu Recht vorwerfen, dass ich verantwortungslos bin.«
»Das ist mir schnurz. Ich fahre nicht nach Cagliari!«
»Dann bringe ich dich heute noch nach Arbatax zur Fähre.«
»Du schickst mich zurück nach Genua?«
»Das kannst du sehen, wie du willst. Hier kannst du jedenfalls nicht bleiben.«
Ihr Gesicht war knallrot geworden, ihre Lippen zitterten, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Wieso? Was soll mir denn hier passieren?«, erwiderte sie wütend.
»Das weiß man nie. Die Situation könnte sich zuspitzen. Ich will nicht, dass du dann mittendrin bist …«
»Mittendrin in was? In einer Schießerei? Wollen die dich umbringen?«
Die Vorstellung, dass sich hier eine Katastrophe anbahnen könnte, erfüllte sie mit panischer Angst. Jetzt ballte sie die Fäuste und die Tränen brachen sich Bahn, das Schluchzen erstickte ihre Stimme.
Ich stand auf, ging zu ihr hinüber und nahm sie fest in die Arme, küsste ihre noch nassen, salzigen Haare und streichelte ihre Wangen.
»Mach dir keine Sorgen. Niemand wird mehr aufmich schießen«, sagte ich sanft und zärtlich, um sie zu beruhigen.
Sie klammerte sich an mich, die nasse Wange fest an meine Brust gedrückt.
»Aber wieso kann ich denn dann nicht hierbleiben?«, presste sie mühsam hervor.
»Weil ich befürchte, dass dich jemand in die Sache hineinziehen könnte. Zum Beispiel, um mich zu erpressen und mich zum Aufgeben zu zwingen.«
»Dann gib doch gleich auf.«
»Das kann ich nicht. Das ist mein Beruf. Aber ich habe alles im Griff.«
»Wirklich?«
»Ich schwöre es dir.«
Nach und nach beruhigte Aglaja sich. Vielleicht hatte sie begriffen, dass sie keine Angst haben musste, mich ein zweites Mal zu verlieren. Vielleicht verstand sie aber allmählich auch ihre Mutter und konnte die Jahre weit weg von mir besser verstehen. Oder es animierte sie der Gedanke, dass Cagliari eine schöne Stadt und einen Besuch wert war. Was mich betraf – ich spürte vor allem den bitteren Nachgeschmack, den Halbwahrheiten hinterlassen. Ich hatte meiner Tochter versichert, dass ich keinem Risiko ausgesetzt sei – was leider nicht stimmte. Und um ehrlich zu sein, hatte ich in der seltsamen Geschichte, die hier vor sich ging, eigentlich selbst noch nichts begriffen.
Auch die Seele ist käuflich
Alle waren sie da: seine Frau Martine in Markenjeans und Poloshirt von Fred Perry, sein
attendente
Vincenzo Puddu, Komplize, Laufbursche, Stallknecht und Liebhaber von Madame Ganci, und natürlich Ganci selbst. Nur Aristarco fehlte, doch es hätte mich nicht gewundert, jeden Moment seinen klapprigen roten Ford Escort die Nuraghen-Straße heraufkommen zu hören.
Ich hatte meine Vespa vor einer der weißen Steinsäulen geparkt und dann noch einen kurzen Blick hinunter zur Bucht von Foxi Manna geworfen. Wie ein Schmutzschleier ließ die schwüle, drückende Atmosphäre alle Farben verblassen. Ein leichter Südwind wehte über das Land und durchtränkte die Luft mit Feuchtigkeit. Am Horizont war kein einziges Boot zu sehen. Während ich über den kiesbedeckten Hof zur Villa stapfte, beschlich mich das unangenehme Gefühl, einen Friedhof zu betreten. Die Luft stand still und stank nach Tod. Alles war unbeweglich wie auf einem Foto, das jedes Schicksal gnadenlos auf Zelluloid bannt.
Martine schnürte im Laubengang gerade ihre Stoffschuhe. Sie empfing mich mit einer Herzlichkeit, die mich fassungslos machte. Nach der Szene vom Vorabend hätte ich eher einen ihrer vernichtenden Kommentare erwartet. Doch vielleicht hob sie sich die an diesem Tag für ihren Gatten auf.
»Oh, Monsieur Pagano«, gurrte sie, als ob mein Anblick sie zur glücklichsten Frau der Welt machenwürde. An meinem Blick konnte sie jedoch die Wut ablesen, die in meinen Eingeweiden rumorte. »Stimmt etwas nicht?«
»Ich muss dringend Ihren Mann sprechen«, sagte ich in einem Ton, als hätte ich sie am liebsten zum Teufel geschickt.
Just in dem Moment trat Vincenzo aus dem Haus.
»Spricht man so mit einer Dame?«, schnaubte er.
»Soll ich ein paar Stunden bei Ihnen in höfischer Etikette nehmen?«, sagte ich voller Ironie. »Sagen Sie mir, wo Ganci ist.«
»Signor Ganci, meinen Sie
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