Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
nicht auf die Idee, wenn Sie mich besuchten, würde ich Ihnen etwas anbieten. Kaffee und Kuchen vielleicht, oder am Abend ein Glas Wein. Aber so weit käme es gar nicht, denn ich würde Ihnen die Türe nicht öffnen. Das dürfen Sie nicht persönlich nehmen, das ist einfach so. Ich gehe ja auch nicht ans Telefon. Wahrscheinlich ist das auch der Grund dafür, dass niemand mehr anruft.
Als es das letzte Mal an der Türe geläutet hat, habe ich geöffnet und es sofort bereut. Ich habe Ihnen ja von dem Pyjama erzählt, ich fand das nie weiter schlimm, weil es ja sowieso nie geläutet hat. Aber an diesem Tag habe ich geöffnet und vor der Tür stand ein Feuerwehrmann.
Alle müssten sofort das Haus verlassen, sagte er, weil es im Nebenhaus brennt. Ich habe zwar nicht verstanden, was mich das angeht, schließlich wohne ich ja nicht nebenan, sondern hier, aber er hat nicht mit sich reden lassen und so stand ich ein paar Minuten später im Pyjama vor dem Haus. Die Nachbarn haben sich dann alle etwas weiter weggestellt, wahrscheinlich, weil sie dachten, ich hätte eine Grippe oder so etwas, wegen der Ansteckung. Ich weiß eigentlich gar nicht genau, ob es die Nachbarn waren, denn ich kenne meine Nachbarn nicht, aber das mit der Grippe haben sie sich wohl wegen des Pyjamas gedacht.
Ich habe mich gewundert, weil ein Feuerwehrmann nachher sagte, im Nebenhaus habe ein Papierkorb gebrannt, warum muss ich dann drei Stunden auf der Straße stehen, im Pyjama, aber er hat gesagt, das dauert eben alles seine Zeit. Und seit dem öffne ich nicht mehr, wenn es läutet, es läutet zwar nicht, aber wenn, würde ich nicht öffnen.
Als ich meine Karriere hatte, bei von Hallertau, Brodewig & Partner, musste ich sehr viel arbeiten und habe nicht gemerkt, ob jemand an der Tür geläutet hat. Ich war sowieso nicht zu Hause. Aber ich hatte es geschafft, es war etwas aus mir geworden, das sah auch meine Mutter so. Und ich fand sogar einen Mann. Nicht, dass ich ihn gesucht hätte, aber als er kam, nahm ich ihn. Eigentlich nur, damit nicht meine Mutter irgendwann einmal sagen würde, nun sei es aber an der Zeit, einen Mann zu finden. Ich nahm die Lösung quasi vorweg, bevor das Problem entstand, und meine Mutter war selig. So ein netter Junge.
Allerdings musste sie mir bald, ich glaube, es war am Weihnachtsabend, in der Küche zwischen Stapeln von schmutzigem Geschirr zuraunen, dass ich jetzt bloß nicht sofort schwanger werden sollte, denn das wäre jetzt eine wichtige Karrierephase, und ich könne auf gar keinen Fall aussetzen, das würde meinen Vater ins Grab bringen. Das wollte ich nicht, und so blieb unsere Ehe kinderlos. Als meine Eltern dann meinten, nun sei die Zeit reif und sie hätten jetzt ein Recht auf Enkelkinder, und die Position bei von Hallertau, Brodewig & Partner sei ja nun bombensicher, da hatte Klaus längst ein Verhältnis mit seiner Sekretärin.
Wenn ich einen guten Tag habe, und heute ist so ein guter Tag, dann beschließe ich, am nächsten Tag in die Bücherei zu gehen. Warum denn erst am nächsten Tag, werden Sie fragen. Weil ich frühestens am Mittag weiß, ob ein Tag ein guter Tag ist, es gibt so viele Risiken, die einen Tag, der gut angefangen hat, dann doch zu keinem guten Tag werden lassen. Wenn ich aber sicher bin, wie heute, dann beschließe ich, am nächsten Tag etwas zu wagen. Am selben Tag kann ich nicht in die Bücherei gehen, denn es ist dann schon zu spät, am Mittag, ich kann nur morgens um zehn Uhr gehen. Sie öffnen um zehn Uhr, dann ist es nicht voll, später, so ab zwölf Uhr, ist es dann unerträglich, wissen Sie, ich lebe in einer sehr großen Stadt, und es ist ja klar, dass viele Menschen in die Bücherei gehen, ich gehe schließlich auch hin. Dann schlendere ich durch die Regalreihen, lasse meinen Blick über die bunten Buchrücken schweifen und atme den Geruch von Papier und ein bisschen Staub.
Ich packe die Bücher in diese praktischen Einkaufskörbe, die es in der Bücherei gibt, aber nur in die schwarzen, die roten erinnern mich an den Supermarkt und an die Regale dort und die Musik und dann wird mir ganz heiß.
Mit dem schwarzen Korb voller Bücher gehe ich also zum Automaten, man muss mit niemandem reden, wenn man ein Buch ausleihen will, das geht alles automatisch. Eigentlich ist das schade, denn die Angestellte, die an der Kasse sitzt – also die Kasse für den Fall, dass der Automat defekt ist –, ist sehr nett. Ich habe zwar noch nicht erlebt, dass der Automat defekt gewesen wäre,
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