Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
aber sie hat es mir erklärt, sie sitzt da für den Fall der Fälle.
Ich wusste das nämlich am Anfang nicht und wollte bei ihr die Bücher ausleihen, legte meinen Bibliotheksausweis hin und sie sagte, das ginge aber nicht, solange der Automat funktioniert. Ich habe dann gedacht, wie schön es wäre, wenn der Automat bald kaputtginge, denn die Angestellte sah sehr gelangweilt aus. Und sehr nett. Ich gehe jedenfalls gerne da hin, und schon allein deswegen musste ich die Sache mit dem Pyjama aufgeben.
Früher, als ich noch eine Karriere hatte und den Klaus, bin ich nie in die Bücherei gegangen. Ich hatte keine Zeit zum Lesen. Außerdem hatten wir einen Fernseher. Eins nach dem anderen verschwand dann und seitdem habe ich Zeit. Wobei der Fernseher eigentlich nicht verschwunden ist, ich habe ihn vielmehr verschenkt. An den Mann von der GEZ . Eines Tages, ich wohnte gerade wenige Wochen in meiner Wohnung, läutete es an der Tür. Ich habe geöffnet und da stand der Mann von der GEZ und sagte, er müsse überprüfen, ob ich einen Fernseher hätte. Da bin ich ins Wohnzimmer gegangen und habe den Fernseher genommen und ihn dem GEZ -Mann in die Hand gedrückt. Damit er ganz sicher sein konnte, dass ich nun keinen Fernseher mehr habe. Wenn ich es mir genau überlege, hatte ich schon lange nach einem Weg gesucht, den Fernseher loszuwerden. Aber das ist gar nicht so einfach, versuchen Sie das mal. Was sollen denn da die Leute denken? Man kann den alten Fernseher eigentlich nur loswerden, wenn man sich im Gegenzug einen neuen, größeren, anschafft, am besten so einen flachen, den man an die Wand hängt. Das wollte ich aber nicht, denn dann hätte ich ja wieder vor demselben Problem gestanden, und so kam mir der Mann von der GEZ ganz recht.
Der Fernseher stand ja immer so vorwurfsvoll da. Er war solange vorwurfsvoll, bis ich ihn eingeschaltet habe, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Das Programm dann aber auch nicht.
Morgen werde ich also in die Bücherei gehen, um zehn, denn später sind alle Schließfächer belegt. Man könnte meinen, dass das egal wäre, schließlich gibt es eine Garderobe, aber dort arbeiten drei Garderobieren, wegen denen kann ich dort nicht hin. Jetzt denken Sie vielleicht, es läge an mir, dass die drei so unfreundlich sind, weil ich nie Trinkgeld gebe. Und dabei steht auf der Theke ein Teller, und viele Leute legen auch eine Münze hin. Ich nicht, aber ich bitte Sie, das ist doch kein Grund. Ich war jedenfalls immer sehr freundlich, aber die drei Garderobieren nicht. Ich kann sie schon hören, wenn ich die Treppe heraufkomme. Meistens streiten sie sich oder reden über eine von ihnen, die gerade nicht da ist. Also wenn eine in Urlaub ist oder eine Pause macht. Und ich halte das Gekeife einfach nicht aus. Man könnte auch meinen, sie hätten den anstrengendsten und kompliziertesten Beruf der Welt. Anstrengend, weil sie alle drei ganz gebeugt und mit vorwurfsvollem Blick hinter dem Tresen stehen, auf dem man die Sachen ablegen soll.
Und kompliziert ist dieser Beruf auch, weil sie andauernd diskutieren, wie welche Mäntel wo aufzuhängen sind, und dass sie die Rucksäcke hassen, weil alle schwarz sind und gleich aussehen, und dass überhaupt alle Taschen zu schwer sind. Ich gehe immer ganz schnell an ihnen vorbei, ich halte das nicht aus. Aber wenn ich neue Bücher haben will, muss ich da vorbei und auch wenn ich die alten zurückbringen muss. Und zurückgeben muss ich sie ja, sonst kostet es Strafe. Und neue Bücher brauche ich, denn ohne ist der Tag doch sehr lang.
Das ist übrigens etwas, was ich erst später gemerkt habe, dass der Tag sehr lang ist. Also nach der Krise. Vorher ist mir das gar nicht aufgefallen. Da hatte ich so viel zu tun. Meine Mutter sagte damals immer solche Sachen wie: »Kind, du musst das Haus aber besser in Ordnung halten.« Oder: »Du musst dringend die Hecke schneiden!« Sie sagte nie »ihr«, was ja den Klaus mit eingeschlossen hätte, den guten Jungen, nein, sie sagte »du«. Und dann: »Ich mach dir das schnell …« Womit sie zum Ausdruck brachte, dass es mir keinesfalls an Zeit, sondern nur an Willen fehlte. Mit dem Essen war es genau so. Sie kochte in Windeseile ein Dreigängemenü für den armen Klaus. »Du musst dem Klaus aber abends was Vernünftiges kochen, Kind!« Was soll man dazu sagen? Diese Stimme …
Richtig angefangen hat dann alles mit der Krise. Also mit der Wirtschaftskrise. Meine Mutter meinte zwar, ich hätte eine Lebenskrise, aber das ist
Weitere Kostenlose Bücher