Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
Quatsch. Die Wirtschaftskrise ist schuld. Damals hat keiner mehr Häuser gebaut. Jedenfalls nicht solche, wie ich sie geplant habe, große Häuser für arbeitende Menschen, die sehr teure Möbel hineinstellen. Also sagte von Hallertau mir eines Tages – eigentlich war es abends, aber das ist jetzt egal –, dass es ihm sehr leid täte. Mir tat es auch leid. Er hätte es mir wenigstens am Morgen sagen können, dann hätte ich zum Zahnarzt gehen können, mit der herausgefallenen Plombe. Und wo er mir doch immer gesagt hatte, ich sollte bald Partnerin werden und selbständig arbeiten und mich immer zu den Abendessen mit dem Chef von Hellkamp & Söhne geschickt hat.
Leider waren »& Söhne« nie da, nur der alte Hellkamp, und gegessen habe ich auch nichts, weil meine Mutter meinte, ich würde zu dick und ich dürfte mich auf gar keinen Fall gehenlassen, schon wegen dem Klaus, dem guten Jungen. Diese Abende waren kein Vergnügen. Sie werden vielleicht sagen, das ist Kundenpflege, da muss man eben durch, na ja, der alte Hellkamp wollte wohl schon gerne von mir gepflegt werden, wenn Sie wissen, was ich meine … Jetzt muss ich nicht mehr da hin, das ist das Gute.
Meine Mutter hat sich sehr aufgeregt, das kann ich Ihnen sagen. Die ganze schöne Karriere weg. Das Kind arbeitslos. Und zugenommen hatte ich auch. Wo das alles hinführen soll, hat sie gefragt, und dabei ein Gesicht gemacht, als ob sie in eine Zitrone gebissen hätte. Was nur die Leute denken sollen, der Sohn von Wellenbrincks sei sogar schon Oberarzt. Und ob ich wirklich alles getan hätte, um die Stelle doch noch zu behalten. Nichts hatte ich getan, aber das habe ich ihr nicht gesagt. Das hätte sie ins Grab gebracht. Oder meinen Vater.
Wir haben dann das Haus verkauft und der Klaus hat sich scheiden lassen, weil seine Sekretärin schwanger geworden ist. Ganz schönes Klischee, werden Sie sagen, aber da kann ich nichts dafür. Ich habe erst gar nicht mitbekommen, dass der Klaus sich scheiden lassen wollte, weil ich die Post nicht aufmache. Ich werfe die ganze Post immer einmal im Monat ungeöffnet in den Altpapiercontainer.
Dann kam meine Mutter und sagte, ich müsse zu dem Gerichtstermin hingehen und für den Klaus Verständnis haben, er übernehme jetzt schließlich Verantwortung und überhaupt, wo ich mich so verändert habe, könne man ihm keinen Vorwurf machen. Ich bin dann hingegangen, damit sie still war.
Sie wartete vor dem Gericht auf mich und hat gefragt, warum ich denn nie ans Telefon gehe und die Post nicht aufmache, und wie ich mich benehme und dass es so etwas in unserer Familie noch nie gegeben habe. Sie hätten doch alles dafür getan, dass etwas aus mir würde und jetzt –. Sie wisse überhaupt nicht, wie es weitergehen solle mit mir, und Frau Wellenbrinck grüße schon nicht mehr. Das sei eine Schande für die ganze Familie, ich solle doch an meinen Vater denken und an seine Position. Dabei war ihre Stimme noch schriller als sonst.
Auf dem Heimweg ist mir dann eingefallen, dass ich im Schrank unter der Spüle noch die Schachtel habe. Und im Bad die Einwegspritze.
Meine Mutter hat sich gefreut, dass ich sie nach so langer Zeit noch mal eingeladen habe, und wir haben gemütlich im Wohnzimmer gesessen. Ich hatte extra für sie ein ganzes Netz Mandarinen gekauft, die isst sie ja so gerne. Und sie hat reichlich zugelangt. Jetzt ist sie still.
Eilsabeth Knoblauch Der Jahrestag
Es war nach einem Spaziergang passiert. Ein lauer Spätsommerabend, die Sonne hatte tief über den abgeernteten Feldern gestanden, der Wind mit ihrem Haar gespielt. Wie seit Monaten schon, sprach nur sie. Und erntete keine Antwort. Sie erzählte von ihrem Tag, ihren Gedanken, ihrem Ärger mit einer Kollegin. Er schwieg. Er reagierte nicht. Stumm, aufrecht, saß er in seinem Rollstuhl und ließ sich von ihr fahren. Sie wusste nicht, ob er sie nicht verstand, ob er einfach keine Lust hatte zu reden oder ob er sauer war auf sie, immer noch, und das Gespräch verweigerte. Nach all den Monaten. Stur war er auch schon vor dem Unfall gewesen. Die Ärzte hatten ihr geraten zu sprechen. Organisch gab es keinen Grund für diese abweisende Wortlosigkeit. Aber diese Reaktionslosigkeit, dieses ewige Schweigen.
Er war jetzt abhängig von ihr, klar. Sie musste ihn morgens vor der Arbeit waschen, ihn anziehen, ihm Frühstück zubereiten. Mittags schaute eine Krankenschwester vorbei. Nach der Arbeit war sie dann wieder dran. Massage, Spaziergänge, Essen kochen, Waschen, ins Bett
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