Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
passieren konnte.
Ein Unfall sei es gewesen, erfuhr Mahler. Der Kleine war genau an dieser Stelle, mit nur vier Jahren, ertrunken.
Er wurde nie wieder gefunden, wäre immer noch dort draußen. Hinnerk zeigte aufs Meer hinaus und Mahler schüttelte es innerlich.
Hinnerk wollte nicht noch länger neben der eingeschnürten Leiche stehen, also ging er ein wenig an die Wasserkante und starrte wieder weit hinaus. Plötzlich schwappte ein grünes Netz an seine Füße, das um eine alte Colaflasche geschlungen war. Er zog eine Rolle Papier aus der Flasche und las den leicht verschwommenen Text. Ein Wort stach ihm dabei klar und deutlich ins Auge.
»Mörder.«
Hinnerk ging auf Mahler zu, vielleicht hatte er etwas Wichtiges in diesem Fall gefunden.
Aber Mahler schrie ihn an, er solle sich auf der Wache lieber um die arme Witwe kümmern und ihnen die Arbeit überlassen. Das hatte er auch getan.
Drei Wochen war das nun her und Hinnerk blickte auf das Wasser hinaus.
Die Todesursache von Herrn Schliemann lautete »Selbstmord, unter erhöhtem Alkoholeinfluss und Schlafmittelkonsum.«
Jeder Mensch auf der Insel konnte sich die Umstände nur zu gut erklären, sie alle hatten den kleinen Lukas gemocht und konnten erahnen, unter welchen seelischen Qualen seine Eltern seitdem leiden mussten. Sie sprachen der Witwe ihr Beileid aus und legten den Fall zu den Akten.
An dem Tag, vor drei Wochen, war Hinnerk zur Wache gerannt, um mit ihr zu reden. Er konnte sich einfach nicht erklären, warum das gleiche Fischernetz um den Leichnam ihres Mannes und die Flaschenpost geschlungen war.
Das Wasser hätte ein Fischernetz an Land gespült, das sich im ständigen Rauschen der Wellen um den reglosen Körper geschlungen hatte. Aus lauter Verzweiflung und Selbstvorwürfen, weil er sich nie um seine Familie gekümmert hatte, griff er zu diesem tödlichen Cocktail.
Niemand wagte es, Kommissar Mahler zu widersprechen.
Die Flaschenpost wollte niemand mehr genauer untersuchen.
Glücklich und zufrieden, weil er diesen Fall so schnell wie möglich gelöst hatte, verschwand Mahler wieder von der Insel.
Niemand außer ihm hatte die Reaktion von Frau Schliemann gesehen, als er ihr die Flaschenpost unter die Nase gehalten hatte. Noch nie in seinem Leben hatte er einen solch toten Gesichtsausdruck gesehen. »Alles wird nie gut«, flüsterte sie und er hatte das Gefühl, das Zimmer sei ein paar Grade kälter geworden.
»De is mall«, dachte er schaudernd. In den folgenden Tagen fuhr er mit seinem alten Klapprad über die Insel und schnappte immer wieder die Gespräche der Dorfbewohner auf. Frau Schliemann hätte oft seltsam reagiert, manchmal sogar total übernächtigt oder angetrunken gewirkt.
Dann behandelte sie Lukas nicht gut, sie schimpfte laut mit ihm oder gab ihm einen festen Stoß in den Rücken. Ihr Mann würde, sogar im Urlaub, viel lieber an seinem Laptop arbeiten, als sich mit ihnen zu beschäftigen, hieß es.
Die heile Fassade der Schliemanns bröckelte immer mehr ab, und langsam wurden die Konturen einer völlig überforderten Mutter sichtbar.
Der alte Jens Jensen, der sich immer in den Dünen herumtrieb, behauptete sogar, sie wäre einmal eingeschlafen, während Lukas am Wasser spielte. Aber niemand wollte einem zerstreuten, alten Mann, der gerne mal einen Friesengeist zu viel trank, glauben.
Hinnerk hatte daraufhin den Text auf der Papierrolle entziffert, war mit einem Kuli, die verlaufenen Stellen nachgefahren, bis er die Zeilen lesen konnte.
Hast du echt meine Flaschenpost gefunden?
»Der Tod wartet im Netz«, das Buch ist der pure Schocker sag ich dir. Habs in einer Nacht, einer stürmischen, versteht sich, gelesen. Hab danach alle Fenster und Türen fest verschlossen. Noch schnell den Rest Cola ausgesüppelt und rein mit meiner Nachricht. Ich wickle noch ein Fischernetz um die Flasche, das passt doch, oder?
Ich stehe hier am Strand auf Sylt und werfe sie ins Wasser.
Dies ist meine Botschaft an den Finder: Lies das Buch und denk dran, der Fischer ist nicht immer der MÖRDER .
Aye Aye Laura
Hinnerk schob das Blatt wieder in die Flasche zurück und blickte erneut über die Wellen.
Er hatte gedacht, endlich einmal einen Fall allein lösen zu können. Er war sich so sicher gewesen, dass die Flaschenpost mit dem Mord an Herrn Schliemann zusammenhängen musste. Das war kein Selbstmord. Nur einmal in seinem Leben wollte er es allen beweisen und diesen Mord ganz alleine aufklären.
Hinnerk warf die Flasche zurück ins Wasser
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