Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
Kaffee im Büro? Die Sonne geht bald auf.«
»Ich brauche eine kalte Dusche, Masello, sonst kann ich mich nicht auf den Fall konzentrieren. Hast du deine Versetzung endlich beantragt?«
»Kommt nicht in Frage. Und heute kochst du den Kaffee.«
Eine Stunde später saßen Kora Schröder und Maria Masello im Kommissariat und studierten die Tatortfotos. Sie hatten es hier ganz eindeutig mit einem Serientäter zu tun.
»Charlotte Koch wurde vor vier Monaten gefunden«, fasste Schröder zusammen. »Der Mörder hat ihr auf der Straße vor ihrer Wohnung aufgelauert. Ein Stich mit einem langen, dünnen Gegenstand durch die Brust.«
»Charlotte war Studentin.« Maria unterdrückte ein Gähnen. »Sie wohnte in einer WG , war bildhübsch und laut den Aussagen ihrer Freundinnen sehr beliebt.«
»Das ergibt doch keinen Sinn«, meinte Schröder, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Dann der Fitnesstrainer, Mitte dreißig, verheiratet – lag tot unter der Dusche im Club. Und jetzt dieser Lüstling, Anton Kunz, der Mechaniker.«
Maria stand auf. Dieser Fall war zermürbend. Es gab keine Verbindungen zwischen den Opfern – bis auf die Todesart und diese seltsamen Sprüche auf den Körpern. Maria schrieb den neusten Reim auf eine Tafel zu den anderen. »Ich werde nicht schlau daraus. Sind das Auszüge aus Gedichten?«
In diesem Moment polterte Oberkommissar Gierhartz aus seinem Büro. »Milewski«, rief er durch das Kommissariat, »wo bleiben die verdammten Bilanzen?«
Susanne Milewskis Arbeitsplatz war hinten in der Ecke des Großraumbüros. Ihre Schritte hallten auf dem alten Parkett, als sie sofort zum Chef eilte.
Schröder seufzte und warf Maria einen wütenden Blick zu. »Milewski ist erst ein paar Monate hier, aber Gierhartz hat sie echt auf dem Kieker.«
»Dabei ist sie gut – versteht was von Computern.«
»Ja, aber der liebe Gott hat unsere Schreibkraft nicht gerade mit weiblichen Vorzügen gesegnet.« Schröders Blick wanderte über Marias transparente Chiffonbluse bis hinunter zu ihren nackten Waden. »Ganz im Gegensatz zu dir.«
Maria ignorierte die Bemerkung und beobachte, wie Susanne dem Chef eine Akte in die Hand drückte. »´Tschuldigung«, stotterte sie, »ich dachte nur … Sie wollten doch erst die Analysen … die von den Morden.«
»Und wie soll ich einen Einsatz planen, wenn ich das Budget nicht kenne?«, grollte Gierhartz, kratzte sich seinen Bart, blähte die Brust und verschwand in seinem Büro.
»Ekel«, fauchte Maria und rief Susanne zu sich. Die spinatgrüne Strickjacke hing formlos über ihre füllige Taille. Sie rückte ihre Hornbrille zurecht. Zu ihrem großen Erstaunen konnte Maria Wut in ihrem Blick erkennen, wenn sie auch nie recht wusste, auf welches Auge sie sich konzentrieren sollte. Chamäleonartig sprangen Susannes Augäpfel umher – und das keineswegs synchron.
»Seine Frau hat ihn verlassen«, versuchte Maria zu trösten, »nimm es nicht persönlich.«
Susanne nickte mit ihrem Schopf krauser, strohfarbener Haare.
»Wir werden schon auf dich aufpassen«, meinte Schröder und warf ihre Füße auf den Schreibtisch.
Da fiel Susannes Blick auf die Tafel. »Oh, Shakespeare?«
»Dir sagen diese Zeilen etwas?«, fragte Maria überrascht.
»
Nun tot ich bin, der Leib ist hin
. Das sind Pyramus' Worte aus ›Ein Sommernachtstraum‹.
Ach neige, Du Schmerzenreiche, Dein Antlitz gnädig meiner Not
! Das sagt Gretchen in Goethes Faust.«
»Der Spruch stand auf Charlottes Brust geschrieben«, erklärte Maria. »Woher kennst du all die Gedichte?«
»Abi-Klausur letztes Jahr«, erklärte sie beiläufig. »
Denn beide tötet uns der Lustbrauch eines Weibes
. Das ist von Lohenstein.«
»Der Fitnesstrainer«, meinte Schröder. »Klingt nach einer frustrierten Ex oder betrogenen Ehefrau. Da muss es doch einen Zusammenhang zwischen den Dreien geben!«
Gierhartz stürzte erneut aus seinem Büro. »Verdammt Milewski, ich will die Zahlen! Und einen Kaffee! Muss man hier denn alles selber machen?«
Eingeschüchtert eilte Susanne zur Kaffeemaschine. Gierhartz warf einen missbilligenden Blick auf Schröders Stiefel, die auf dem Arbeitstisch ruhten. Kora verschränkte provokativ die Arme vor der Brust.
»Ach, Masello«, wandte sich der Oberkommissar an Maria, »werfen Sie mal einen Blick auf eine Mail, die ich heute erhalten habe. Da macht sich so ein Idiot einen Spaß daraus, mir irgendwelche rätselhaften Texte zu schicken.«
Maria nickte
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