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Der Tod wartet

Der Tod wartet

Titel: Der Tod wartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Geschlechtstriebs. Bei ihrem Beruf wird sie oft genug damit konfrontiert gewesen sein. Und so fand sie eine raffinierte Lösung: holte ein hübsches, aber mittelloses junges Mädchen ins Haus, begünstigte eine Heirat – und erwarb dadurch einen weiteren Sklaven.»
    Sarah schüttelte den Kopf. «Ich glaube nicht, dass die junge Mrs Boynton ihre Sklavin ist.»
    Gérard stimmte ihr zu.
    «Nein, vermutlich nicht. Ich glaube, dass die alte Mrs Boynton Nadines Willenskraft und Charakterstärke unterschätzte, weil sie ruhig und fügsam war. Nadine Boynton war damals noch zu jung und unerfahren, um die Situation richtig einzuschätzen. Inzwischen kennt sie sie genau, aber jetzt ist es zu spät.»
    «Glauben Sie, dass sie die Hoffnung aufgegeben hat?»
    Dr. Gérard schüttelte zweifelnd den Kopf.
    «Falls sie Pläne hat, dann weiß bestimmt niemand davon. Es gibt da gewisse Möglichkeiten, was Mr Cope betrifft. Der Mensch ist von Natur aus eifersüchtig – und Eifersucht ist ein starker Antrieb. Lennox Boynton könnte noch aus der Lethargie zu reißen sein, in der er zu versinken droht.»
    «Und Sie meinen» – Sarah bemühte sich bewusst um einen sachlichen und geschäftsmäßigen Ton –, «dass eine Chance besteht, dass ich bei Raymond etwas ausrichten könnte?»
    «Ja.»
    Sarah seufzte. «Ich hätte es ja versuchen können. Aber jetzt ist es sowieso zu spät. Im Übrigen ist mir ohnehin nicht ganz wohl dabei.»
    Gérard schien amüsiert zu sein. «Weil Sie Engländerin sind! Die Engländer haben Komplexe, was das Sexuelle betrifft. Sie halten es für ‹nicht salonfähig›.»
    Sarahs indignierte Reaktion beeindruckte ihn nicht.
    «Aber es ist so! Ich weiß, dass Sie sehr modern sind, dass Sie in aller Öffentlichkeit die ungehörigsten Wörter benutzen, die Sie im Lexikon finden können, dass Sie nüchtern und absolut ungeniert sind! Tout de même behaupte ich, dass Sie sich nicht von Ihrer Mutter und Ihrer Großmutter unterscheiden. Sie sind noch immer die züchtig errötende englische Miss, auch wenn sie nicht mehr erröten!»
    «Ich habe noch nie einen solchen Unsinn gehört!»
    Mit einem verschmitzten Zwinkern und völlig ungerührt fügte Dr. Gérard hinzu: «Und Sie sehen dabei entzückend aus.»
    Diesmal war Sarah sprachlos.
    Dr. Gérard zog eilends den Hut. «Ich will mich lieber verabschieden», sagte er, «bevor Sie Zeit haben, alles auszusprechen, was Ihnen jetzt im Kopf herumgeht.» Er verzog sich rasch ins Hotel.
    Sarah folgte ihm langsam.
    Vor dem Hotel herrschte ziemlich viel Betrieb. Mehrere mit Gepäck beladene Autos waren im Begriff abzufahren. Lennox und Nadine Boynton standen mit Mr Cope neben einer schweren Limousine und überwachten die Vorbereitungen zur Abreise. Ein dicker Dragoman redete in einem kaum verständlichen Kauderwelsch auf Carol ein.
    Sarah ging wortlos an ihnen vorbei und betrat das Hotel.
    Mrs Boynton saß, in einen dicken Mantel gehüllt, aufbruchbereit in einem Sessel. Als Sarah sie betrachtete, merkte sie, wie ihre Gefühle gegenüber der alten Frau plötzlich umschlugen. Sie hatte Mrs Boynton für eine finstere Macht gehalten, für die Verkörperung heimtückischer Böswilligkeit.
    Auf einmal sah sie in der alten Frau nur noch eine bemitleidenswerte, armselige Figur. Mit einer solchen Machtgier geboren zu sein, einem solchen Verlangen, andere zu beherrschen – und dann nichts weiter als ein kleiner Haustyrann zu werden! Wenn doch ihre Kinder sie so sehen könnten, wie Sarah sie in diesem Moment sah – ein Gegenstand des Mitleids, eine dumme, bösartige, armselige, sich aufspielende alte Frau. Sarah ging spontan zu ihr hinüber.
    «Auf Wiedersehen, Mrs Boynton», sagte sie. «Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.»
    Die alte Dame blickte auf. In ihren Augen kämpften Feindseligkeit und Empörung miteinander.
    «Sie hatten es darauf angelegt, unhöflich zu mir zu sein», sagte Sarah.
    (Sie fragte sich, ob sie verrückt geworden war, was in aller Welt sie dazu brachte, so zu reden.)
    «Sie haben versucht, Ihren Sohn und Ihre Tochter daran zu hindern, sich mit mir anzufreunden. Finden Sie nicht, dass das ausgesprochen albern und kindisch ist? Sie stellen sich gern als eine Art Ungeheuer dar, aber wissen Sie, im Grunde sind Sie lediglich bemitleidenswert und ziemlich lächerlich. Wenn ich Sie wäre, würde ich mit dem albernen Theater aufhören. Ich nehme an, dass ich mich mit meiner Offenheit bei Ihnen sehr unbeliebt mache, aber ich meine es ernst – und hoffe, dass etwas davon

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