Der Tod wartet
das ist eine Stimme, die ich wieder erkennen werde. Und was sagt sie, diese Stimme? Sie sagt die Worte: ‹ Du siehst doch ein, dass sie sterben muss? ›»
«Naturellement», fuhr er fort, «denke ich in diesem Moment nicht, dass die Worte sich auf einen Mord aus Fleisch und Blut beziehen. Ich halte sie für die Worte eines Schriftstellers oder vielleicht eines Bühnenautors. Aber jetzt – bin ich mir nicht mehr so sicher. Das heißt, ich bin sicher, dass es sich anders verhielt.»
Wieder hielt er kurz inne, bevor er weitersprach: «Messieurs, so viel kann ich Ihnen nach bestem Wissen und Gewi s sen sagen: Diese Worte wurden gesprochen von einem jungen Mann, den ich später in der Hotelhalle sah und der, wie man mir auf meine Nachfrage mitteilte, ein junger Mann namens Raymond Boynton war.»
Drittes Kapitel
« R aymond Boynton sagte das?», rief der Franzose verblüfft aus.
«Halten Sie das für unwahrscheinlich – psychologisch gesehen?», erkundigte sich Poirot ruhig.
Gérard schüttelte den Kopf. «Nein, das würde ich nicht behaupten. Ich bin nur überrascht. Ich will damit sagen, dass ich überrascht bin, weil Raymond Boynton sich geradezu als Verdächtiger anbot.»
Colonel Carbury seufzte. Der Seufzer schien zu besagen, man möge ihn mit diesem Psychokram verschonen.
«Fragt sich nur», knurrte er, «wie es jetzt weitergehen soll.»
Gérard zuckte mit den Schultern. «Ich weiß wirklich nicht, was Sie unternehmen können», bekannte er. «Die vorhandenen Indizien sind ohne Beweiskraft. Selbst wenn Sie überzeugt sind, dass es Mord war, wird es schwierig sein, ihn nachzuweisen.»
«Ich verstehe», sagte Colonel Carbury. «Wir haben zwar den Verdacht, dass es Mord war, aber wir lehnen uns gemütlich zurück und drehen Däumchen! Das geht mir gegen den Strich!» Wie zur Erklärung fügte er den merkwürdigen Satz hinzu, den er schon einmal gesagt hatte: «Ich bin nun mal ein ordentlicher Mensch.»
«Ich weiß. Ich weiß.» Poirot nickte mitfühlend. «Sie möchten sich Klarheit verschaffen. Sie möchten definitiv und ganz genau wissen, was geschehen ist und wie es geschah. Und Sie, Dr. Gérard? Sie haben gesagt, dass man nichts unternehmen kann – dass das vorliegende Material keine Beweiskraft hat? Das trifft vermutlich zu. Aber sind Sie damit zufrieden, die Sache auf sich beruhen zu lassen?»
«Sie war ein übles Subjekt», sagte Gérard bedächtig. «Außerdem wäre sie vermutlich bald gestorben – in einer Woche, einem Monat, einem Jahr.»
«Sie sind also zufrieden?», hakte Poirot nach.
«Es besteht nicht der geringste Zweifel», fuhr Gérard fort, «dass ihr Tod – wie soll ich mich ausdrücken – ein Segen für die Allgemeinheit ist. Er hat ihren Familienangehörigen die Freiheit geschenkt. Sie haben jetzt die Möglichkeit, sich zu entfalten – sie besitzen alle, wie ich meine, einen guten Charakter und Verstand. Sie werden – endlich – nützliche Mitglieder der Gesellschaft sein! Wie ich es sehe, hat der Tod von Mrs Boynton nur Positives zur Folge.»
Poirot fragte zum dritten Mal: «Sie sind also zufrieden?»
«Nein.» Gérard schlug plötzlich mit der Faust auf den Tisch. «Ich bin nicht ‹zufrieden›, wie Sie sich auszudrücken belieben! Es liegt in meiner Natur, Leben zu erhalten – nicht den Tod zu beschleunigen! Auch wenn mir mein Verstand noch so oft sagt, dass der Tod dieser Frau eine gute Sache war, lehnt sich unbewusst alles in mir dagegen auf! Es ist nicht recht, Gentlemen, dass ein Mensch stirbt, bevor seine Zeit gekommen ist. »
Poirot lächelte und lehnte sich zurück, zufrieden mit der Antwort, die er auf sein hartnäckiges Nachfragen erhalten hatte.
Colonel Carbury stellte nüchtern fest: «Der Mann hat was gegen Mord! Mit Recht! Geht mir genauso.»
Er stand auf und schenkte sich einen großen Whisky Soda ein. Die Gläser seiner Gäste waren noch voll.
«Und jetzt», sagte er, wieder zum Thema kommend, «wollen wir mal Nägel mit Köpfen machen. Was können wir in dieser Sache unternehmen? Dass sie uns nicht gefällt, steht fest! Aber wir werden uns vielleicht wohl oder übel damit abfinden müssen. Es hat keinen Zweck, einen Riesenwirbel zu veranstalten, wenn wir keine hieb- und stichfesten Beweise auf den Tisch legen können.»
Gérard beugte sich vor. «Was meinen Sie, Monsieur Poirot? Sie sind schließlich der Experte.»
Poirot ließ sich mit der Antwort Zeit. Pedantisch rückte er den einen oder anderen Aschenbecher zurecht und schob die benutzten
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