Der Tod wartet
zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war. Lennox schien nur ungern zu gehen. An der Tür blieb er zögernd stehen. «Äh – war das alles?»
«Gewiss. Vielleicht wären Sie so freundlich, Ihre Frau zu bitten, zu mir zu kommen?»
Lennox ging langsam hinaus. Poirot notierte auf seinem Block: L.B. 16.35 Uhr.
Siebtes Kapitel
P oirot betrachtete interessiert die hoch gewachsene, würdevolle junge Frau, die das Zimmer betrat. Er stand auf und verbeugte sich höflich vor ihr. «Mrs Lennox Boynton? Hercule Poirot, zu Ihren Diensten.»
Nadine Boynton nahm Platz. Ihre nachdenklichen Augen ruhten auf Poirots Gesicht.
«Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, Madame, dass ich Sie in Ihrer Trauer belästigen muss.»
Ihre Augen sahen ihn unverwandt an. Sie antwortete nicht sofort. Ihr Blick blieb ruhig und ernst. Schließlich seufzte sie und sagte: «Ich halte es für das Beste, Ihnen gegenüber völlig offen zu sein, Monsieur Poirot.»
«Ganz Ihrer Meinung, Madame.»
«Sie entschuldigen sich, weil Sie mich in meiner Trauer zu belästigen glauben. Doch da ist keine Trauer, Monsieur Poirot, und es ist müßig, so zu tun, als würde ich trauern. Ich mochte meine Schwiegermutter nicht, und ich kann nicht guten Gewissens behaupten, dass ich ihren Tod bedauere.»
«Ich danke Ihnen, Madame, dass Sie so offen sprechen.»
«Trauer», fuhr Nadine fort, «kann ich nicht vortäuschen, aber ich muss gestehen, dass ich etwas anderes empfinde – nämlich Gewissensbisse.»
«Gewissensbisse?» Poirot zog fragend die Augenbrauen hoch.
«Ja. Denn ich bin diejenige, die ihren Tod verschuldet hat. Und deswegen mache ich mir bittere Vorwürfe.»
«Was sagen Sie da, Madame?»
«Ich sagte, dass ich am Tod meiner Schwiegermutter schuld bin. Ich handelte, wie ich glaubte, in bester Absicht – aber die Folgen waren tragisch. Im Grunde genommen habe ich sie getötet.»
Poirot lehnte sich in seinem Stuhl zurück. «Hätten Sie wohl die Güte, Madame, Ihre Worte näher zu erläutern?»
Nadine neigte den Kopf. «Ja. Genau das wollte ich ohnehin. Meine erste Reaktion war natürlich, meine Privatangelegenheiten für mich zu behalten, aber ich sehe ein, dass es an der Zeit ist, lieber alles zu sagen. Ich bin sicher, Monsieur Poirot, dass Sie schon oft vertrauliche Mitteilungen auch intimer Art erhalten haben.»
«In der Tat.»
«Dann will ich Ihnen geradeheraus erzählen, wie es war. Meine Ehe, Monsieur Poirot, ist nicht besonders glücklich. Die Schuld daran liegt nicht allein bei meinem Mann – seine Mutter hatte immer einen sehr ungünstigen Einfluss auf ihn –, aber seit einiger Zeit habe ich das Gefühl, dass ich dieses Leben nicht länger ertragen kann.»
Sie hielt inne und fuhr dann fort:
«Am Nachmittag des Tages, an dem meine Schwiegermutter starb, kam ich zu einem Entschluss. Ich habe einen Freund – einen sehr guten Freund. Er hat mich mehr als nur einmal gebeten, sein Leben mit ihm zu teilen. An diesem Nachmittag nahm ich seinen Antrag an.»
«Sie beschlossen, Ihren Mann zu verlassen?»
«Ja.»
«Sprechen Sie weiter, Madame.»
Nadine fuhr mit leiser Stimme fort:
«Nachdem mein Entschluss feststand, wollte ich – wollte ich ihn so schnell wie möglich in die Tat umsetzen. Ich ging allein zurück ins Camp. Meine Schwiegermutter saß noch immer vor ihrer Höhle, es war niemand in der Nähe, und so beschloss ich, ihr meine Entscheidung auf der Stelle mitzuteilen. Ich holte mir einen Stuhl, setzte mich zu ihr und teilte ihr ohne große Vorrede mit, was ich beschlossen hatte.»
«War sie überrascht?»
«Ja, ich fürchte, es war ein großer Schock für sie. Sie war überrascht und wütend zugleich – sehr wütend. Sie – sie geriet richtiggehend in Rage! Daraufhin weigerte ich mich, weiter mit ihr darüber zu reden. Ich stand auf und ging.» Ihre Stimme wurde noch leiser. «Ich – ich habe sie nicht lebend wieder gesehen.»
Poirot nickte bedächtig. «Ich verstehe.»
Nach einer Weile sagte er: «Und Sie glauben, ihr Tod war die Folge dieses Schocks?»
«Dessen bin ich mir fast sicher. Sehen Sie, mit der Reise nach Petra hatte sie sich ohnehin schon zu viel zugemutet. Den Rest besorgten meine Mitteilung und ihr Wutanfall… Und ich fühle mich auch deshalb schuldig, weil ich eine gewisse Erfahrung im Umgang mit Kranken habe und daher, mehr als jeder andere, hätte wissen müssen, dass so etwas passieren konnte.»
Poirot schwieg geraume Zeit und sagte dann:
«Was genau taten Sie, nachdem Sie sie verlassen
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