Der Tod wartet
fünf Menschen mit angsterfüllten Augen.
Poirot sagte ruhig: «Als Colonel Carbury mir von der Sache erzählte, äußerte ich meine sachkundige Meinung. Ich sagte ihm, dass es vielleicht nicht möglich sein würde, Beweise zu liefern – Beweise, die bei Gericht zulässig wären. Aber ich erklärte ihm unmissverständlich, dass ich überzeugt war, die Wahrheit herauszufinden – allein durch die Befragung der betroffenen Personen. Denn ich darf Ihnen versichern, mes amis: Wenn man in einem Verbrechen ermittelt, muss man den oder die Schuldigen nur reden lassen – am Ende erzählen sie einem immer, was man wissen will!» Er hielt kurz inne.
«Und obwohl Sie alle mich in diesem Fall angelogen haben, haben Sie mir auch unwillentlich die Wahrheit gesagt.»
Er hörte, wie rechts von ihm jemand leise seufzte und das knarzende Geräusch eines Stuhls, doch er drehte sich nicht danach um. Sein Blick blieb auf die Boyntons gerichtet.
«Als Erstes untersuchte ich die Möglichkeit, dass Mrs Boynton eines natürlichen Todes gestorben war – und ich verwarf sie. Das fehlende Medikament, die Injektionsspritze und vor allem das Verhalten der Familie der Toten – alles überzeugte mich, dass diese Vermutung nicht aufrechtzuerhalten war.
Nicht nur, dass Mrs Boynton kaltblütig ermordet wurde – jedes Mitglied ihrer Familie war sich dieser Tatsache auch bewusst! Alle miteinander verhielten sich wie Schuldige.
Aber es gibt unterschiedliche Grade von Schuld. Ich prüfte das Beweismaterial sorgfältig im Hinblick darauf, ob der Mord – ja, denn es war Mord – von der Familie der alten Dame gemeinschaftlich und vorsätzlich begangen worden war.
Ich darf sagen, es gab ein überwältigendes Motiv. Jeder von ihnen profitierte von ihrem Tod – sowohl in finanzieller Hinsicht, denn sie erlangten dadurch finanzielle Unabhängigkeit und kamen in den Genuss eines sehr beträchtlichen Vermögens, als auch in dem Sinn, dass sie befreit wurden von einer Tyrannei, die geradezu unerträglich geworden war.
Lassen Sie mich fortfahren. Ich kam zu dem Schluss – und das fast unverzüglich –, dass die Theorie eines gemeinschaftlichen Vorgehens nicht stichhaltig war. Die Aussagen der Familie Boynton stimmten nicht nahtlos überein, und man hatte sich keine plausiblen Alibis zurechtgelegt. Die Indizien schienen eher darauf hinzudeuten, dass ein einzelnes oder vielleicht zwei Mitglieder der Familie in geheimem Einverständnis gehandelt hatten und dass die anderen die Tat deckten. Als Nächstes überlegte ich, welche Person oder Personen speziell in Frage kamen. Ich muss gestehen, hierbei war ich geneigt, voreingenommen zu sein aufgrund eines Indizes, das nur mir bekannt war.»
Hercule Poirot berichtete von dem Gespräch, das er in Jerusalem mit angehört hatte.
«Das deutete natürlich stark darauf hin, dass in diesem Fall Mr Raymond Boynton die treibende Kraft war. Ich studierte die Familie und kam zu dem Schluss, dass der Empfänger seiner vertraulichen Mitteilungen an diesem Abend höchstwahrscheinlich seine Schwester Carol war. Beide ähneln sich sehr in Aussehen und Naturell, und es besteht gewiss eine sehr enge und innige Beziehung zwischen ihnen. Darüber hinaus besitzen sie das nervöse, rebellische Temperament, das die Voraussetzung ist für das Konzept eines solchen Vorhabens. Dass ihr Motiv zum Teil uneigennützig war – sie wollten die ganze Familie befreien und insbesondere ihre jüngere Schwester –, machte die Planung der Tat nur noch plausibler.» Poirot hielt einen Moment inne.
Raymond Boynton öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich jedoch anders. Seine Augen blickten Poirot unverwandt mit einem Ausdruck dumpfer Verzweiflung an.
«Bevor ich näher darauf eingehe, was gegen Raymond Boynton spricht, möchte ich Ihnen eine Liste mit entscheidenden Fakten vorlesen, die ich aufstellte und heute Nachmittag Colonel Carbury vorlegte.
Entscheidende Fakten
Mrs Boynton nahm ein Medikament, das Digitalis enthielt.
Dr. Gérard vermisste eine Injektionsspritze.
Es machte Mrs Boynton Spaß, ihre Familie daran zu hi n dern, mit anderen Menschen zusammen zu sein.
Mrs Boynton ermunterte ihre Familie an dem besagten Nachmittag einen Spaziergang zu machen und sie allein zu lassen.
Mrs Boynton war eine Sadistin.
Die Entfernung zwischen dem Gemeinschaftszelt und der Stelle, wo Mrs Boynton saß, beträgt (circa) 200 Meter.
Mr Lennox Boynton sagte zunächst aus, er wisse nicht, wann er ins Camp zurückgekommen sei, gab
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