Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
Aber immerhin wurden die überlebenden Rebellen dadurch in offenere Abschnitte getrieben, wo sie von Scharfschützen ins Visier genommen werden konnten. Mehr als zwei Wochen nach Beginn der Revolte ergaben sich schließlich die letzten Aufständischen.
Zu ihnen gehörte auch Oteibi, der mit seinen verfilzten Haupt- und Barthaaren wie ein Wilder aussah und trotzig nach den Fernsehkameras schlug, die filmten, wie die Rebellen aus dem unterirdischen Gewölbe hochkamen und abgeführt wurden. Doch seine Widerborstigkeit verschwand, kaum dass die Tragödie beendet war. Turki besuchte ihn im Krankenhaus, wo er wegen seiner Verletzungen behandelt wurde. Oteibi sprang aus dem Bett, griff nach der Hand des Prinzen und küsste sie. „Bitten Sie König Chaled, mir zu vergeben!“, flehte er. „Ich verspreche, dass ich so etwas nie wieder tun werde.“
Turki war zunächst viel zu verblüfft, um etwas zu erwidern. „Dir vergeben?“, fragte er schließlich. „Bitte lieber Gott um Vergebung.“
Die Regierung verteilte Oteibi und seine 62 überlebenden Mitkämpfer auf acht verschiedene Städte, bevor sie am 9. Januar 1980 enthauptet wurden. Es war die größte Massenhinrichtung in der Geschichte Saudi-Arabiens.
Die saudische Regierung gab bekannt, dass bei dem Aufstand 127 Soldaten getötet und 461 verwundet worden seien. Auch rund ein Dutzend Pilger und 117 Rebellen seien ums Leben gekommen. In inoffiziellen Berichten war jedoch von mehr als 4000 Opfern die Rede. 22 Das Wüstenkönigreich befand sich in einem tiefen Schockzustand. Der heiligste Ort der Welt war entweiht worden - von Muslimen - und die Autorität der Königsfamilie öffentlich in Frage gestellt. Danach konnte nichts mehr so bleiben, wie es gewesen war. Saudi-Arabien war an einem Wendepunkt angekommen; es musste sich wandeln, doch in welche Richtung? Sollte es sich zu Offenheit, Liberalität, Toleranz, Modernität und westlichen Vorstellungen von demokratischem Fortschritt bekennen oder zu einer strikt autoritären Staatsführung und noch mehr religiöser Unterdrückung?
Zu Beginn der Belagerung der Moschee waren Osama Bin Laden und sein Bruder Mahrous verhaftet worden. 23 Sie waren von Al-Barud, dem Anwesen der Familie an der Straße von Dschidda nach Mekka, nach Hause unterwegs gewesen. Die Polizei entdeckte die Staubwolke ihres Autos, das aus der Wüste kam, und hielt sie für flüchtende Rebellen. Bei ihrer Verhaftung gaben die Brüder an, sie hätten nichts gewusst von den Kämpfen. Sie wurden ein oder zwei Tage in Gewahrsam gehalten, doch ihre gesellschaftliche Stellung schützte sie. Osama musste eine Woche unter Hausarrest verbringen. Er hatte sich gegen Oteibi und die extremistischen Salafisten gewandt, die sich ihm angeschlossen hatten. Fünf Jahre später jedoch vertraute er einem Mudschahid in Peschawar an, Oteibi und seine Anhänger seien wahre Muslime, die sich keines Verbrechens schuldig gemacht hätten. 24
IN DEN MONATEN zwischen der Aufgabe der Rebellen und ihrer Hinrichtung erschütterte ein weiteres Ereignis die islamische Welt: Am Heiligabend des Jahres 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein. „Ich war entrüstet und machte mich sofort auf den Weg“, behauptete Bin Laden später. 25 „Nach einigen Tagen kam ich dort an, noch vor Ende des Jahres 1979.“Laut Dschamal Chalifa hatte Osama Bin Laden aber bis dahin noch nie etwas von Afghanistan gehört und reiste erst 1984 in das Land, in jenem Jahr, in dem man ihn zum ersten Mal in Pakistan und Afghanistan sah. Bin Laden erläuterte, seine vorhergehenden Reisen seien unter großer Geheimhaltung abgelaufen, so dass seine Familie nichts davon erfahren würde. 26 Er sei als Kurier tätig gewesen, erzählte er, und habe Spenden von reichen Saudis überbracht. „Ich übergab das Geld und fuhr sofort wieder zurück, daher war ich nicht genau darüber informiert, was dort vor sich ging.“ 27
Eine sehr wichtige Rolle bei Bin Ladens Aktivitäten in Afghanistan spielte ein palästinensischer Gelehrter und Mystiker namens Abdullah Assam. Der 1941 in dem Dorf Silat al-Harithija acht Kilometer nordwestlich von Dschenin im Westjordanland geborene Assam war nach dessen Eroberung durch Israel im Jahr 1967 nach Jordanien geflohen. Er besuchte die al-Azhar-Universität in Kairo, wo er 1973 einen Doktortitel in islamischem Recht erwarb, zwei Jahre später als sein Freund Omar Abd ar-Rahman, der blinde Scheich. 28 Anschließend schrieb er sich an der Universität von Jordanien ein,
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