Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
bevorstand.
Dschamal Chalifa, der damals in Bin Ladens Haushalt lebte, lernte Oteibi und dessen Gefolgsleute bei ihren Predigten in verschiedenen Moscheen kennen, bei denen ihnen jedoch häufig Fehler bei Zitaten aus dem Koran unterliefen. Auch Bin Laden dürfte sie gesehen haben. Die Zuhörer waren verblüfft, dass sie offen die Regierung angriffen. Sie zerrissen sogar Geldscheine, weil diese das Bild des Königs trugen.
Dies waren unerhörte Taten in einem so streng überwachten Land; dennoch zögerte die Regierung, gegen die religiösen Eiferer vorzugehen. Einmal nahmen Angehörige der Geistlichkeit Oteibi und Kahtani ins Kreuzverhör, um Hinweise auf Ketzerei zu finden, doch letztendlich ließ man sie gewähren. Sie wurden als ungebildete Wiedergänger der fanatischen Ichwan betrachtet, der Sturmtruppen von Ibn Saud; Oteibi war tatsächlich ein Enkel eines Mitglieds dieser Truppe. Niemand konnte sich vorstellen, dass diese Gruppe zu einer ernsten Bedrohung für die bestehende Ordnung heranwachsen könnte.
Kurz bevor die Aufständischen die Telefonleitungen kappten, rief ein Angestellter der Firma Bin Laden, die noch immer mit der Renovierung der Großen Moschee beschäftigt war, in der Unternehmenszentrale an und berichtete, was geschehen war; daraufhin informierte ein Vertreter des Unternehmens König Chaled. 11
Turki kehrte um neun Uhr abends aus Tunis nach Dschidda zurück und fuhr mit dem eigenen Auto nach Mekka. Die ganze Stadt war geräumt worden, die Straßen waren gespenstisch leer. Die riesigen Scheinwerfer, die sonst die Große Moschee beleuchteten, waren abgeschaltet, wie auch der Strom insgesamt, sodass das Gebäude wie ein Berg ins Dunkel ragte. Turki fuhr zu einem Hotel, wo ihn sein Onkel Prinz Sultan erwartete, der damalige Verteidigungsminister. Als Turki das Hotel betrat, feuerte ein Heckenschütze von einem der Minarette herab auf ihn, die Glastür, deren Griff Turki in der Hand hielt, ging zu Bruch.
Später am Abend begab sich Turki zu einem Kommandoposten rund hundert Meter vom Hotel entfernt, wo er sich in den folgenden beiden Wochen aufhalten sollte. Die meisten Pilger waren inzwischen freigelassen worden, doch eine unbekannte Zahl war noch in der Hand der Aufständischen. Niemand wusste, wie viele es waren, welche Waffen sie hatten, was sie im Schilde führten. Rund hundert Einsatzkräfte des Innenministeriums hatten bereits versucht, die Moschee wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sie waren sofort niedergeschossen worden.
Nach kurzer Zeit wurden die überlebenden Sicherheitsoffiziere durch Soldaten der saudischen Armee und der Nationalgarde verstärkt. Doch bevor die anwesenden Prinzen einen Angriff auf die Moschee anordnen konnten, mussten sie dazu die Erlaubnis der Geistlichkeit einholen, was keineswegs als selbstverständlich vorauszusetzen war. Der Koran verbietet Gewalt jeglicher Art innerhalb der Großen Moschee - nicht einmal eine Pflanze darf ausgerissen werden -, so dass die Aussicht auf einen bewaffneten Kampf innerhalb des Heiligtums die Regierung und die Geistlichkeit vor ein Dilemma stellte. Der König riskierte, dass ihm seine Männer den Gehorsam verweigerten, wenn er ihnen befahl, im Heiligtum das Feuer zu eröffnen. Wenn sich aber die Geistlichkeit weigerte, in einer Fatwa der Regierung das Recht zur Befreiung der Moschee einzuräumen, konnte der Eindruck entstehen, dass sie sich auf die Seite der Aufständischen geschlagen habe. Das historische Bündnis zwischen der Herrscherfamilie und der Geistlichkeit drohte zu zerbrechen, was unabsehbare Folgen nach sich ziehen würde.
Führer der Geistlichkeit war der blinde, siebzigjährige Abdul Asis Bin Bas, ein bedeutender Religionsgelehrter, der aber der Wissenschaft skeptisch und der Moderne feindselig gegenüberstand. Er vertrat die Auffassung, dass sich die Sonne um die Erde drehe und dass es die Mondlandung nie gegeben habe. 12 Nun befand sich Bin Bas in einer schwierigen Lage, denn Oteibi war in Medina sein Schüler gewesen. 13 Es ist unbekannt, welche Absprachen bei dem Treffen zwischen der Geistlichkeit und König Chaled getroffen wurden, doch die Regierung wurde schließlich ermächtigt, Gewalt einzusetzen. Gestützt auf dieses Dekret, ordnete Prinz Sultan einen Artilleriebeschuss an, gefolgt von massiven Vorstößen an allen drei Haupttoren. Dennoch konnten die Rebellen nicht bezwungen werden.
In der Moschee hielten sich vier- bis fünfhundert Aufständische auf, unter ihnen Frauen und Kinder. 14 Es waren nicht
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