Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
ihm wesentlich schwerer fiel. Seine Mutter verbot ihm die Reise. Er bat sie eindringlich um ihre Erlaubnis und beteuerte, er wolle sich nur um die Familien der Mudschahidin kümmern. Er versprach, er werde sie jeden Tag anrufen. Schließlich gelobte er: „Ich werde nicht einmal in die Nähe von Afghanistan kommen.“ 44
5 DIE WUNDER
Einen Monat nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan reiste Prinz Turki al-Faisal nach Pakistan. Er war erschüttert über die Machtübernahme der Sowjets in Afghanistan, die er als ersten Schritt auf ihrem Vorstoß an die warmen Wasser des Persischen Golfs betrachtete. Er glaubte, dass die Sowjetunion letztlich die Straße von Hormus unter ihre Kontrolle bringen wollte, den Eingang zum Persischen Golf, wo sich der Oman Iran entgegenreckt wie ein Angelhaken einem offenen Mund. Von dort aus würden die Sowjets die Fahrtrouten der Supertanker kontrollieren können, die das Erdöl aus Saudi-Arabien, Irak, Kuwait und Iran abtransportieren. Wer diese Wasserstraße beherrschte, kontrollierte die Ölversorgung der Welt.
Turkis Kollegen vom pakistanischen Geheimdienst ISI (Inter-Services Intelligence) informierten ihn über den afghanischen Widerstand und zeigten ihm die Flüchtlingslager bei Peschawar. Turki war entsetzt über das Ausmaß des Elends. Bevor er nach Hause zurückkehrte, versprach er, mehr Geld für die Mudschahidin bereitzustellen, obwohl er überzeugt war, dass diese desolate Truppe nicht viel würde ausrichten können gegen die Rote Armee. „Afghanistan ist verloren“, stellte er fest. Er hoffte nur, die unvermeidliche sowjetische Invasion in Pakistan noch etwas hinauszögern zu können.
In Washington sahen das viele ähnlich, vor allem Zbigniew Brzezinski, der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Carter. Doch Brzezinski betrachtete die Invasion auch als eine Chance. Er schrieb umgehend an Carter: „Jetzt können wir der Sowjetunion ihr Vietnam bereiten.“ 1 Auf der Suche nach einem Verbündeten bei diesem Unterfangen wandten sich die Amerikaner naheliegender Weise an die Saudis - das heißt an Turki, den Prinzen, der in Amerika ausgebildet worden war und das afghanische Konto verwaltete.
Turki wurde zur Schlüsselfigur in der heimlichen Allianz zwischen den Vereinigten Staaten und den Saudis, die dem Widerstand über den pakistanischen ISI Geld und Waffen zukommen ließen. Dieses Programm musste geheim gehalten werden, um der Sowjetunion keinen Vorwand für einen Einmarsch in Pakistan zu liefern. Bis zum Ende des Krieges zahlten die Saudis genauso viel wie die USA; sie fingen mit 75 000 Dollar an, aus denen schließlich Milliarden wurden.
Turkis Hauptproblem bestand darin, dass die Mudschahidin im Grunde ein unorganisierter Haufen waren. Mitte der achtziger Jahre gab es ungefähr 170 bewaffnete afghanische Milizen. 2 Um dieses Durcheinander zu bändigen, bestimmte der ISI sechs größere Exilgruppen zu Empfängern von Hilfsleistungen. Die afghanischen Flüchtlinge, deren Zahl sich 1988 auf 3,27 Millionen Menschen belief, mussten sich einer dieser sechs Gruppen anschließen, um Anspruch auf Nahrungsmittel und Unterstützung zu erhalten. Die beiden größten Gruppen, die von Gulbuddin Hekmatjar beziehungsweise Burhanuddin Rabbani geführt wurden, waren für jeweils 800 000 Menschen in Peschawar zuständig. 3 Turki schuf eine siebte Gruppe, die die Interessen der Saudis besser repräsentierte. Die Ittihad-e-Islami (Islamische Union) wurde mit privaten Geldern Bin Ladens und anderer Förderer ausgestattet und von Abdul Rasul Sajaf geleitet. 4 Der 1,93 Meter große Sajaf, ein eindrucksvoller, stattlicher afghanischer Warlord, der sich gern in bunte Gewänder kleidete, sprach ein vorzügliches klassisches Arabisch, das er sich während seines Studiums an der al-Azhar-Universität in Kairo angeeignet hatte. Seine wahhabitischen Glaubensüberzeugungen standen nicht im Einklang mit den Sufi-Traditionen, die in Afghanistan bis zum Krieg vorgeherrscht hatten, deckten sich jedoch weitgehend mit den Interessen der Regierung Saudi-Arabiens und dessen Geistlichkeit. Diese sieben Mudschahidin-Führer wurden von der CIA und anderen Geheimdiensten, von denen sie den größten Teil ihrer Hilfslieferungen bezogen, als die „Sieben Zwerge“bezeichnet.
Turki fürchtete, dass es mit den gierigen und streitsüchtigen Zwergen zu Schwierigkeiten kommen könnte, und drängte die rivalisierenden Gruppen mehrmals, sich unter einer einheitlichen Führung zusammenzuschließen.
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