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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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gegeben hatte, öffnete er die Haustür und blickte sich noch einmal rasch um, bevor er die Tür hinter sich ins Schloß zog. Es war ein kahles Treppenhaus mit klinkerbelegten Stufen. Galvano versuchte, möglichst geräuschlos aufzutreten. Im dritten Stock lehnte er sich einen Augenblick an die Wand. Der Blick hinauf ermutigte ihn nicht. Galvano hielt den Atem an und lauschte. Das einzige Geräusch kam aus der Wohnung eine halbe Treppe tiefer, zwei Kanarienvögel schwatzten miteinander. Er stieg rasch die weiteren Stockwerke hinauf und machte am Anfang des engen, finsteren Flurs unter der Dachschräge noch einmal halt, um auf mögliche Geräusche zu achten.
    Es war die dritte Tür rechts. Ein Vorhängeschloß, das ihm die Gewißheit gab, daß niemand drinnen war, und das er rasch öffnete, versperrte den Raum, dessen Dachluke zum Hinterhof hinauszeigte. Irinas Bleibe war ein spartanisch eingerichtetes Zimmer unter dem Dach ohne Wasseranschluß, das sie mit zwei anderen Frauen teilte. Sie hatte ihm genau beschrieben, welches ihr Bett war und wo ihre Sachen lagen. Es war nichts zu finden. Galvano warf einen Blick in die Taschen, die unter den anderen Betten verstaut waren, doch nichts davon entsprach Irinas Beschreibungen. Irgend jemand hatte die wenigen Sachen der jungen Frau bereits weggeschafft. Das verhieß nichts Gutes. Galvano zog die Tür hinter sich zu und stieg unsicher die Treppe hinab. Zwischen dem vierten und dem dritten Stock kamen ihm zwei rauchende junge Männer entgegen. Er mußte sich eng an die Wand drücken, als sie grußlos an ihm vorbeigingen und keinen Zentimeter zur Seite rückten. Einer stieß ihm unachtsam den Ellbogen in die Rippen, doch der Kerl kümmerte sich nicht im geringsten darum.
    Galvano war außer sich über diese Unhöflichkeit. »Habt ihr denn keinen Respekt vor alten Leuten?« schimpfte er.
    Sie schenkten ihm keine Beachtung und stiegen die Treppen hinauf, als hätten sie ihn nicht gehört.
    Die Geschäfte im Zentrum öffneten bald wieder. Galvano mußte für das Mädchen Einkäufe erledigen. Etwas zum Anziehen, ein Buch vielleicht, aber wo fand er russische Texte in der Stadt? Er verwarf den Gedanken. Vielleicht fände er ein Puzzle oder etwas ähnliches, womit sie sich die Zeit vertreiben könnte.
    Natürlich hätte er in ein Kaufhaus gehen können, doch war es bequemer, den Wagen vor der Haustür zu lassen und in der Cavana die Einkäufe zu erledigen. Galvano betrat das Wäschegeschäft mit Widerwillen. Es war ein enger, lang hingestreckter, schlecht beleuchteter Raum mit einem Schaufenster, das aussah, als wäre es in den frühen Fünfzigern zum letzten Mal umdekoriert worden. In den Regalen stapelten sich die Konfektionen bis unter die Decke und hinter der Verkaufstheke stand eine füllige Frau Mitte Sechzig. Der Raum hinter dem Tisch war so eng, daß sie Mühe hatte, sich umzudrehen.
    Galvano stammelte etwas von einer Enkelin und sagte, er brauche alles, von der Bluse bis zur Unterwäsche. Auf die Frage nach der Größe streckte er die Hände aus und fragte, woher er das denn wissen sollte. An der Hüfte sei sie etwa so breit, oben rum soviel, er versuchte sie mit Handbewegungen zu beschreiben und errötete dabei. Dann zeigte er auf seine Brust und meinte, die junge Dame sei etwa so groß, daß sie bis zum letzten Knopf seines Jacketts reichte.
    Die Inhaberin war der Ansicht, es sei besser, wenn die Enkelin persönlich erscheine. Doch Galvano machte keine Anstalten, den Laden zu verlassen, und beharrte darauf, daß sie die Kleidungsstücke vor ihm ausbreitete. Er spannte die Unterhosen zwischen seinen Fingern, hielt sie sich vor Augen und entschied, daß es eine Nummer kleiner sein müßte. Fünf davon, sagte er. Mit den Büstenhaltern hatte er mehr Probleme, also nahm er drei verschiedene Größen. Was nicht paßte, würde er zum Umtausch zurückbringen. Die Verkäuferin führte wortlos seine Wünsche aus und enthielt sich der Kommentare, die ihr auf der Zunge lagen. Für sie war klar, daß der Alte einer von vielen in der Stadt war, die nicht mehr alle Tassen im Schrank hatten. Solange er bezahlte, war ihr jede Macke recht. Und hier bahnte sich das Geschäft der Woche an.
    *
    Laurenti konnte nur mit Mühe der Unterhaltung entfliehen, in die er beim Mittagessen verwickelt wurde. Er aß gerade ein Brötchen mit warmem Prager Schinken und frischem Meerrettich und trank ein Glas Bier, als ihm im Buffet »da Giovanni« hinter Sant’Antonio ein ihm unbekannter Mann Mitte

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