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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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seines Sohnes stolz. Er hoffte sehr, daß der Junge dabeiblieb. Nur eine Sache irritierte ihn. In den Augen seines Vaters hatte sich Marco zum Halbvegetarianer entwickelt. Zwei- und vierbeinige Landbewohner, Geflügel, Borstenvieh, Schafe, Ziegen und Rinder seien nicht zum Verzehr geeignet, hatte er mehr als einmal behauptet. Fische seien erlaubt, solange sie im freien Meer gefangen würden. Laurenti hatte den Eindruck, daß es Marco gar nicht darum ging, wo die Tiere lebten, sondern daß er seit seinem Militärdienst, den er vorwiegend in der Küche seiner Einheit abgeleistet hatte, von den unendlichen Mengen falscher Wiener Schnitzel, die er zubereiten mußte, für den Rest seines Lebens bedient war.
    Laurenti wartete nur auf den Moment, da kein Grillabend mit den Kindern und Freunden an der Küste bevorstand. Dann wollte er Laura dazu überreden, Marcos Fortschritte im Restaurant zu genießen. Doch seine Frau organisierte eine Einladung nach der anderen und war glücklich darüber, so viel Leben in der Bude zu haben. Als hätte es ihr daran in den letzten Jahren gefehlt. Laurenti war es manchmal zu viel, vom Büro und dem ständigen Gequassel in der Questura nach Hause zu kommen und die Stimmen der Gäste schon zu hören, bevor er noch die Treppen vom Parkplatz ganz hinabgestiegen war. Manchmal hätte er auch gerne alleine auf der Terrasse gesessen und in Ruhe ein Buch gelesen. Aber was wollte er mehr? Eine glückliche Ehefrau und Fröhlichkeit im Haus bedeuteten doch sehr viel. Welcher Mann hatte schon beides?
    *
    Der idiotische Kummer Livias hatte ihn trotz des Zwischenfalls am frühen Morgen erheitert. Pfeifend stieg er die Treppen zum Büro hinauf. Marietta saß schon im Vorzimmer, ließ eine Zigarette im Aschenbecher verqualmen und wühlte in ihren Unterlagen. Sie begrüßte ihn muffig. Sommer im Büro bedeutete für sie seit neuestem, keine Sekunde zu lange am Schreibtisch zu verbringen und so früh wie möglich das Gebäude wieder zu verlassen. Dafür mußte Marietta allerdings auch morgens früher aufstehen, was ihrer Laune nicht sonderlich bekam.
    »Wir haben eine neue Gruppe Verrückter in der Stadt.« Sie saß auf ihrem Stuhl und wandte ihm den Rücken zu. Sie machte keine Anstalten, sich umzudrehen, sondern schaute stur auf den schwarzen Bildschirm ihres abgeschalteten Computers. »›Mucca Pazza‹ nennen sich die Idioten. Sie sind gegen Rindfleisch.«
    Laurenti interessierte sich nicht für diese Nachricht. »Was macht die Liebe, Turteltäubchen? Hast du schon wieder die ganze Nacht nichts anderes getan?« Laurenti sah seiner Assistentin seit zwei Wochen den Schlafmangel auf den ersten Blick an und konnte sich seine Kommentare nicht verkneifen. »Paß bloß auf, daß du den Knaben nicht überstrapazierst! Die Übergewichtigen haben oft Herzprobleme. Auch wenn es nicht die schlechteste Art zu sterben ist. Aber er ist doch noch so jung und du würdest dir für den Rest deines Lebens ein Trauma einhandeln. Außerdem rate ich dir davon ab, es im Auto zu treiben, sonst geht es dir wie der Großmutter in Rom.«
    »Ich brauch kein Auto und Enkel habe ich auch keine. Du bist nur neidisch«, fauchte Marietta, ohne ihm einen Blick zu schenken. »Du hast mich als Geliebte ja immer verschmäht.«
    Endlich hatte sie wieder einen Kerl gefunden, der es nicht nur auf einen One-Night-Stand mit ihr abgesehen hatte. Laurenti kannte ihn flüchtig und hielt nichts von ihm. Er wechselte schnell das Thema.
    »Schau bitte gleich nach, wem dieser Wagen gehört. Und sag mir, was es Neues gibt?« Es war ein Ritual. Wie jeden Morgen, wenn er ins Büro kam, trug ihm Marietta die neuesten Meldungen vor.
    »Als erstes die Schmierereien von Tierschützern, die sich ›Mucca Pazza‹ nennen. Am deutschen Konsulat und am Goethe-Zentrum. Sicher, weil die Viehtransporte, die vom Porto vecchio aus in den Nahen Osten gehen, überwiegend aus Deutschland kommen. Ich muß zugeben, das Symbol mit der Kuh und der Kalaschnikow ist gelungen.« Sie reichte Laurenti ein paar Fotos der Graffiti.
    Nach der Risiera di San Sabba: Bestialische Viehtransporte durch Europa und Verladung im Porto vecchio – Wer Tiere foltert, bringt auch Menschen um. Wegschauen ist Kollaboration. Für artgerechte Haltung und Schlachtung. Für lokale Produkte. Gegen die Massenfabrikation von Lebensmitteln. Qualität statt billiger Scheiße. Oder wollt ihr euch vergiften?
    MUCCA PAZZA
    Über der Signatur »Mucca Pazza«, verrückte Kuh, dem umgangssprachlichen Ausdruck

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