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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Nabel der Welt, aber es ist wenigstens nicht weit weg.«
    »Da hast du recht«, sagte Laurenti. »Eine halbe Stunde mit dem Auto. Du mußt nicht einmal umziehen. Warum nimmst du nicht einfach eine Woche Urlaub, bevor du gehst? Wir haben ohnehin zu viel zu tun. Und du könntest deinen neuen Job ausgeruht und braungebrannt antreten. Es macht immer Eindruck bei den Kollegen, wenn der Neue sich gleich voll ins Zeug legt.«
    »Ferien mache ich im Sommer«, sagte Sgubin. »Aber den kommenden Montag würde ich gerne frei nehmen.« Er wollte zu einem Segeltörn am Wochenende, doch Laurenti hörte nur mit einem halben Ohr zu und erinnerte sich am Ende des Gesprächs nicht einmal mehr daran, ob er Sgubin freigegeben hatte oder nicht. Er war mit seinen Gedanken bei der wirklich schlechten Nachricht, die Ettore Orlando ihm mitgeteilt hatte. Nach der gemeinsamen Schulzeit in Salerno hatten sie sich zufällig in Triest wiedergefunden und waren unzertrennliche Freunde geworden, was auch der Zusammenarbeit äußerst zuträglich war. Und auch ihren fünfzigsten Geburtstag hatten sie im Frühjahr gemeinsam gefeiert. Sie hatten die ganze »Osteria Il Pettirosso« in Santa Croce gemietet. Und jetzt sollte der Kerl doch noch eine Sprosse auf der Karriereleiter emporklettern, obwohl er noch vor kurzem gesagt hatte, er wolle bis zur Pensionierung in der Stadt bleiben. In Triest, wo sonst doch immer alles beim alten blieb, gab es plötzlich viel zu viele Veränderungen. Letztes Jahr war Galvano zum Ruhestand verdonnert worden, und inzwischen war schon sein dritter Nachfolger im Amt. Dann Sgubins unerwartet ausgebrochener Ehrgeiz, Mariettas neuer Lover und jetzt die Beförderung Orlandos mit allen unvermeidbaren Konsequenzen. Laurenti schmeckte das nicht.
    »Was ist mit diesem römischen Zahnarzt?« rief Laurenti laut.
    Es dauerte einen Moment, bis Marietta in der Tür auftauchte. »Komische Sache. Es liegt nichts gegen ihn vor. Alles regulär. Die Kollegen in Rom haben ihn aufgesucht. Er war in seiner Praxis und arbeitete. Er war verblüfft über die Anfrage. Es ist sein Wagen, er stand vor der Tür. Fahrzeugtyp und Farbe stimmen. Aber von diesem Typ gibt es nicht nur einen in Rom. Es muß sich um einen Fehler handeln.«
    »Fehler?« Ein Wort, das Laurenti haßte. »Ich möchte eine Liste aller in Rom zugelassenen Autos dieser Farbe und dieses Typs. Sag Sgubin, daß er sich darum kümmern soll. Er steht doch sicher bei dir im Zimmer, um zu plaudern.«
    Marietta verkniff sich einen Kommentar und ging hinaus. Laurenti überlegte, ob der alte Fischer sich vielleicht geirrt hatte. Auf jeden Fall mußte er warten, bis er von Orlando am Nachmittag erfahren würde, was der über die Vorgänge bei den Filtri wußte. Aber Warten gehörte wirklich nicht zu Laurentis Tugenden.

Mias zweiter Tag
    Sie hörte das Klopfen an der Tür, doch sie wagte nicht, aus dem Fenster zu sehen. Einmal hatte sie in der Küche eine Dose Thunfisch geöffnet und lustlos mit der Gabel darin gestochert, dann war sie wieder zu Bett gegangen. Nach einem weiteren erfolglosen Anruf bei ihrer Mutter hatte sie das Mobiltelefon abgeschaltet. Sie wollte nicht erreichbar sein. Morgen wären es zwei Wochen seit ihrer Ankunft, und in einigen Tagen würde der Notartermin stattfinden, bei dem sie das Haus verkaufen wollte, wenn die interessierte Familie aus dem Dorf nicht noch einen Rückzieher machte. Aber das war unwahrscheinlich, denn sie waren sich schnell einig gewesen und hatten sich mit dem Preis in der Mitte getroffen. Sie würde Triest dann so schnell wie möglich verlassen, egal wie es um die anderen Grundstücke stand. So viele Jahre lagen sie brach, daß es jetzt keine Eile hatte. Und die Sache mit der Lagerhalle müßte sowieso erst aufgeklärt werden. Das lag in den Händen der Behörden, auf die sie nicht einwirken konnte. Sie hatte nur noch einen Wunsch: ein Ticket für den Rückflug und weg von hier. Sie war verzweifelt. Das Leben meinte es nicht gut mit ihr. Triest sollte ein Ort der Zuflucht für sie sein, nicht der Flucht. Warum mußte ausgerechnet ihr das alles passieren? Jedesmal, wenn sie versuchte, die Ereignisse der vergangenen zwei Wochen auf die Reihe zu bringen, brach sie in Tränen aus und zerfloß vor Selbstmitleid.
    Am Tag nach ihrer Ankunft war sie gegen mittag mit einer Flasche Wein zur Nachbarin gegangen und hatte sich vorgestellt. Die alte Dame hatte sie warmherzig empfangen und zum Essen eingeladen.
    »Danke für den Wein!« sagte Rosalia lächelnd

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