Der Tod wirft lange Schatten
den Naturpark, von dort oben.« Er zeigte mit dem Finger zur Trasse der alten Eisenbahn. »Oder über den Radweg. Ich habe mit der Befragung auf Sie gewartet. Natürlich wissen alle Bescheid.«
»Gehen wir«, sagte Laurenti. »Es wäre übrigens sehr freundlich, wenn Sie mich später zurückbringen könnten. Mein Kollege geht gerne zu Fuß zurück. Er meditiert beim Gehen.«
Der Uniformierte lachte. Sgubin biß sich auf die Zunge. Er wußte, daß er gegen die Sticheleien seines Chefs machtlos war. Zwei Wochen noch, dann müßte er nicht mehr unter ihm leiden. Diesen Fall konnte dann sein Nachfolger bearbeiten. Was sollte er sich jetzt noch über Laurenti aufregen?
Drei schmucke Häuser aus dunklen Steinquadern. »Trattoria Gostilna Botac«. Ein Ziel für Wanderer, die Hunger und Durst in freundlicher Atmosphäre stillen konnten, bevor sie wieder aufbrachen. Doch in der Sommerhitze dieses Tages waren nur zwei Tische besetzt. Laurenti, dem der Schweiß in Bächen über Stirn, Brust und Schulter lief, ging zu einem Brunnen und wusch sich das Gesicht. Sgubin und der Uniformierte warteten ein paar Schritte entfernt, bis er sich wieder zu ihnen gesellte. Dann traten sie in den Gastraum.
»Buongiorno, Doberdan«, sagte Laurenti.
Die Wirtin begrüßte sie mit besorgtem Gesicht. »Wer ist es?« fragte sie.
»Gute Frage«, sagte Laurenti. »Ein Mann Mitte Vierzig. Dürfen wir uns setzen?«
Sie wies ihnen einen Tisch mit rotweißkarierter Decke neben einem Kanonenofen zu und brachte eine Karaffe Weißwein, Wasser und Gläser.
»Er liegt erst seit gestern dort«, sagte der Uniformierte.
»Mein Mann hat Sie gleich verständigt, als er aus der Stadt zurückkam. Sergej, die Polizei will dich sprechen«, rief sie.
Der Wirt wusch sich am Spülbecken die Hände und setzte sich zu ihnen. Er war am Vormittag mit seinem Geländewagen zum Einkaufen gefahren, und als er langsam die Heimfahrt ins Tal hinunter machte, hatte er ihn zufällig gesehen.
»Kennen Sie den Mann?«
»Man vergißt die Gäste nicht, die herkommen. Ich bin mir aber nicht sicher. Er sieht so anders aus. Es könnte der von gestern abend sein. Er ist spät aufgebrochen in Begleitung einer jungen Frau mit schulterlangem, dunkelblondem Haar. Etwa dreißig, schätze ich. Aber vielleicht hilft Ihnen das Gästebuch weiter. Alle tragen sich ein, die hier herkommen. Maria, bring es her.«
Der Wirt deutete auf den letzten Eintrag. »Vielleicht war es der hier: Wein und Wurst im Val Rosandra. Von der Natur verwöhnt, vom Glück verfolgt. Das ist Triest.« Unterzeichnet war mit einem großen A und einem Strichmännchen.
»Nicht besonders originell.« Laurenti blätterte das Gästebuch durch. Einträge in vielen Sprachen und voller Sympathie. Ein Loblied nach dem anderen auf Landschaft und Gastfreundschaft in dem kleinen Wirtshaus. In den letzten beiden Tagen waren, wie er am Datum erkannte, nur um die dreißig Gäste hier gewesen. Einfach würde es nicht werden, sie zu finden. Die meisten hatten ihre Zeilen nur mit ihren Vornamen unterzeichnet. Von den letzten beiden gar nicht zu reden.
»Bei der Hitze haben wir leider kaum Gäste. Alle liegen faul am Meer herum«, sagte der Wirt und zeigte auf Laurentis verschwitztes Hemd. »Es ist einfach zu heiß für Wanderungen.«
»Und abends?« frage Sgubin.
»Wir schließen meistens um zwanzig Uhr. Und falls doch noch jemand kommt, dann klopfen die Leute.«
»Und gestern abend?«
»Gestern ging es länger. Die letzten Gäste sind erst nach zehn aufgebrochen.«
»Haben Sie Hunger?« fragte die Wirtin.
Sgubin machte große Augen, und der Uniformierte wartete auf ein Zeichen Laurentis. »Man ißt gut hier. Einfach, aber gut«, sagte er, als der Chef nicht vom Gästebuch aufblickte.
»Warum nicht«, sagte Laurenti.
*
Die Rückfahrt dauerte ewig. Alle Zufahrtsstraßen, die von Osten ins Zentrum führten, waren gnadenlos verstopft. Die Autofahrer kochten resigniert und in stiller Wut in der Hitze. Polizeistreifen waren nicht zu sehen. Irgend etwas mußte auf der Superstrada am neuen Hafen passiert sein. Der Beamte, der Laurenti in die Stadt brachte, fragte über Funk nach, was passiert war.
»Es ist wie beim Kampfstier-Treiben in Pamplona«, sagte der Mann in der Zentrale. »Ein deutscher Viehtransporter hat sich auf der vierspurigen Schnellstraße überschlagen. Ein Teil des Viehs ist im Fahrzeug eingeklemmt, der Rest läuft frei auf der Fahrbahn herum. Wir wissen noch nicht, wann die Straße wieder freigegeben
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