Der Tod wirft lange Schatten
flußabwärts, und schließlich stießen sie auf einen uniformierten Beamten, der ihnen den Weg wies. Spöttisch schaute er den beiden erschöpften Männern von der Kriminalpolizei nach, die so dämlich gewesen waren, zu Fuß zu gehen. Städter eben.
Es war der übliche Auflauf: Uniformierte und Zivile, Spurensicherung, Gerichtsmediziner, Plastikbänder mit dem Aufdruck »Polizia di Stato«, numerierte Schilder, die Fundort und Spuren markierten, ein Zinksarg, der ein paar Meter von dem leblosen Körper entfernt stand, als könnte der es sich vielleicht doch noch einmal anders überlegen. Und alle, die auf ihr Eintreffen gewartet hatten, schauten sie auf die gleiche Art und Weise an. Warum kamen sie so spät und weshalb waren sie so verschwitzt? Wer kam bei diesen Temperaturen bloß auf die Idee, einen so langen Spaziergang zu machen?
Alfredo Zerial, der neue Gerichtsmediziner, der dritte Nachfolger Galvanos in etwas mehr als einem Jahr, unterdrückte sein Grinsen, als er Laurenti begrüßte. Er bot ihm eine Zigarette an, doch Laurenti lehnte ab.
»Keinerlei äußere Gewalteinwirkung«, sagte Zerial. »Nach der Autopsie wissen wir mehr. Die Leichenstarre hat erst vor kurzem eingesetzt.«
»Todeszeitpunkt?«
»Im Laufe des Abends. Nicht nach Mitternacht.«
»Wer hat ihn gefunden?« fragte Sgubin.
»Der Inhaber der Trattoria dort. Er hat uns verständigt.«
Laurenti schaute sich um. Die Stelle war kaum verborgen. Andererseits fiel das Licht nur in hellen Flecken durch das Laub. Der nackte Körper war nahtlos braungebrannt und hob sich von weitem gesehen kaum von seiner Umgebung ab.
»Ein Nudist«, sagte Laurenti. »Ich mache jede Wette, daß mein Assistent die nächsten Tage alle FKK-Strände vor der Stadt abklappern wird.«
Sgubin verschluckte seinen Protest. Das würde dir so passen, dachte er.
»Also?« sagte Laurenti.
»Anfang Vierzig.« Der Gerichtsmediziner beugte sich zur Leiche hinunter. »Muskulös, mittlere Gestalt, gepflegtes Äußeres, kein Ehering. Vermutlich erstickt, aber nicht stranguliert und auch nicht ertrunken. Vermutlich auch kein Selbstmord. Jedenfalls können wir nichts finden, was er hinterlassen hätte. Nicht einmal seine Kleider. Mindestens eine weitere Person war sicher anwesend. Außerdem haben wir das hier.« Er zeigte auf das Schild mit der Nummer 4, das ein paar Meter entfernt im Boden steckte, sowie auf die Nummer 5 am Rand des Flüßchens. »Vier ist ein Damenslip, Nummer 5 sind Fußspuren von einer kleineren Person als unserem Patienten. Eine Frau. Ich nehme nicht an, daß ein Mann solche Unterhosen trägt. Vielleicht eins sechzig groß und zwischen fünfzig und sechzig Kilogramm schwer. Sie haben hier gebadet.«
Viel Stoff war es nicht, was bei Nummer 4 lag. Ein hellblauer Tangastring. Zerial hob ihn auf und spannte ihn zwischen den Fingern seiner behandschuhten Hände. Dann steckte er ihn in einen Plastikbeutel.
»Die DNA wird uns vielleicht weiterhelfen und das Etikett auch. Marke ›Tout de suite‹«, sagte er. »Nie gehört!«
»Lange braucht man wirklich nicht, um so einen Fetzen auszuziehen«, sagte Sgubin grinsend.
»Es ist nicht die Menge Stoff, die die Zeit bestimmt, Sgubin. Der Doktor wird dir das sicher einmal in Ruhe erklären. Oder halte dich an Marietta«, sagte Laurenti. »Sonst noch etwas, Doktor?«
»Zigarettenkippen, eine Unterhose, Haare, die Vorhaut zurückgeschoben. Spuren soviel Sie wollen. Morgen kann ich Ihnen dann genaues sagen.«
Laurenti nickte und schaute sich die anderen abgesteckten Plätze an. In der Nähe der Leiche sieben Zigarettenstummel der Marke MS, ohne Lippenstiftspuren, alle an derselben Stelle ausgedrückt. »Die Haare?«
»Dunkelblondes Frauenhaar, dreißig Zentimeter lang. Und dieses Stück Papier. Der Rest eines Kassenzettels aus einer Bar, von deren Namen nur noch ›Sport‹ zu lesen ist. Sonst nichts.«
»Eine Liebesnacht im Val Rosandra. Vielleicht war er Asthmatiker«, sagte Sgubin.
Zerial schüttelte den Kopf. »Ich nehme eher an, daß ihm etwas im Hals steckt.«
»Warum gingen die bei diesem Wetter nicht wie alle anderen ans Meer?« Sgubin machte ein paar Schritte zum Fluß hinunter und steckte den Fuß ins Wasser. »Frisch.«
»Was sind das für Häuser dort?« fragte Laurenti einen Uniformierten.
»Botazzo oder Botac auf slowenisch. Gleich dahinter verläuft die Grenze. Eine Trattoria, zwei Familien, eine davon ist seit einer Woche in Ferien. Sonst nichts. Mit dem Auto kommt man nur mit Sondergenehmigung in
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