Der Tod wirft lange Schatten
Aus Schatten war grelle Realität geworden.
»Da haben Sie aber ein beeindruckendes Erbe gemacht, Signorina«, sagte Calisto mit einem seltsamen Unterton, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann legte er die Axt auf eine der Kisten. »Wenn Sie das an einen Sammler verkaufen, machen Sie Millionen. Falls Sie es überhaupt dürfen. Sie müssen es den Behörden melden.«
»Ich weiß, was ich zu tun habe«, entgegnete Mia schnippisch.
»Und was werden Sie tun?« fragte der Notariatsgehilfe, als sie sich durch den Dschungel aus wilden Brombeeren wieder zur Straße gekämpft hatten.
»Sie werden es erfahren.« Mia wünschte ihn weit weg. »Von Ihrer Chefin. Gehen Sie jetzt. Ich werde das hier alleine regeln.« Sie wußte, daß es keinen Sinn hatte, ihn darum zu bitten, nichts von dem Fund weiterzuerzählen. Die Sache war zu einzigartig, als daß darüber jemand schweigen konnte. Und wer war dieser Typ eigentlich, der sie immer so merkwürdig anstarrte? Mia ließ ihn nicht aus den Augen, bis er in den Wagen gestiegen war und den Motor startete.
»Sie denken das Falsche«, rief Calisto durch das Seitenfenster. »Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Angst gemacht habe.«
»Verschwinden Sie!« zischte sie. In ihrem Blick flackerte Haß.
Sie mußte noch einmal in die Lagerhalle gehen, das stand fest. Sie wollte sich den Fund alleine und in Ruhe ansehen. Aber nach einer Zeit des Zögerns stieg sie in ihr Auto und fuhr davon.
»Um Gottes willen, was ist passiert?« Rosalia hatte ihr die Unruhe auf den ersten Blick angesehen und eilig ihre roten Hände an der Schürze abgewischt, als sie auf Mia zuging und den Arm um sie legte. »Erzähl, was ist passiert!«
»Waffen. Wir müssen die Polizei rufen«, stammelte Mia. »Wo ist Angelo?«
Die Nachbarin rief nach ihrem Sohn, als sie bemerkte, daß Mia keinen vernünftigen Satz formulieren konnte. Sie führte Mia in die Küche und drückte sie auf einen Stuhl. Dann nahm sie eine Grappaflasche aus dem Schrank und goß ein. »Hier, trink, mein Kind. Und dann erzähl.«
Angelo fuhr sie zurück. Als sie zu dem verlassenen Grundstück kamen, stand bereits ein Wagen der Polizia di Stato davor und zwei Beamte stemmten das Tor auf. Sie drehten sich um, als Angelo hupte, und kamen ihnen entgegen. Ruhig hörten sie Mias aufgeregte Schilderung an. Mias Atem roch nach Alkohol. Die Polizisten fragten, welche Rolle Angelo spielte, und warfen einen Blick in seinen Personalausweis. Mia hatte ihre Tasche mit den Dokumenten in Rosalias Küche vergessen. Sie würden das später überprüfen, sagten die Polizisten und forderten Mia auf, voranzugehen. Angelo half ihr, das schwere Tor der Lagerhalle zu öffnen, während die Polizisten aus ein paar Metern Abstand zuschauten. Als das Sonnenlicht in den Raum fiel, sah man allen drei Männern die Überraschung an. Sie gingen an Mia, die auf der Schwelle wartete, vorbei und suchten sich einen Weg zwischen dem Kriegsgerät und den Kisten. Mia hörte das Rauschen und Fiepen eines Funkgeräts und dann die Stimme eines der Beamten, der mit der Zentrale sprach.
Es dauerte keine zehn Minuten, bis sie die Sirenen weiterer Streifenwagen hörten. Jetzt gab es kein Durchkommen mehr. Es wimmelte von Polizisten und Carabinieri. Und dann kamen auch schon die Fotografen der Presse. Für Mia interessierte sich niemand. Angelo konnte sie nirgends entdecken. Sie ging zu ihrem Auto, ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und schaute dem Geschehen aus der Ferne zu. Sie fragte sich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, die Behörden zu verständigen. Warum hatte sie nicht zuerst mit der Notarin gesprochen und einen privaten Wachdienst verpflichtet? Wer aus ihrer Familie hatte diesen Wahnsinn gesammelt und versteckt? Sie wollte weg, nichts wie weg. Und da es selbst mit dem Cinquecento unmöglich war, zwischen den vielen Autos durchzukommen, machte sie sich zu Fuß auf den Weg.
Ein seltsames Bild. Eine schöne junge Frau in Gummistiefeln ging die Straße entlang, mal ängstlich um sich blickend, mal in sich gekehrt, als wäre sie ganz alleine auf der Welt.
Das Tal hinter der Stadt
»Sgubin, du bist hier geboren und aufgewachsen. Wer, wenn nicht du, sollte sich hier auskennen?« Laurenti wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er auf dem unsicheren Untergrund weiterging. Seine Mokassins, die er ohne Strümpfe trug, gaben ihm keinen festen Halt.
»Wer geht schon ins Val Rosandra?« Sgubin steckte sein Mobiltelefon wieder ein. »Hier gibt’s nicht einmal
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