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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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ein Funknetz.«
    Sgubin war um elf von einem Polizeiposten in der Nähe darüber verständigt worden, daß ein Toter in einem abgelegenen Tal hinter der Stadt lag, das zu ihren besonders beeindruckenden Sehenswürdigkeiten zählte. Die meisten Triestiner kannten das Tal allerdings nicht, weil man es nicht mit dem Auto befahren konnte.
    »Ich begleite dich, so sehe ich es endlich auch einmal«, hatte Laurenti gesagt, als Sgubin ihm die Nachricht von einem Toten im Tal überbrachte.
    Anstatt sich bei den Kollegen nach dem richtigen Weg zu erkundigen, waren sie einfach losgefahren. Die Schnellstraße um den neuen Hafen herum, vorbei an den Reparaturwerften und am Stahlwerk, hinab zum Industriegebiet. Sie durchfuhren eine Strecke, die vom Geruch der Kaffeeröstereien eingehüllt war, und sahen wenig später die Tanks des Rohöllagers der SIOT, von wo die Transalpin-Pipeline nach Österreich und Süddeutschland führte. Nach dem Schiffsmotorenwerk eines finnischen Unternehmens, dessen mächtige Produktionshallen wie Fremdkörper in der Landschaft standen, kamen sie auf die Provinzialstraße nach Dolina und Bagnoli, wo am Sitz der Partisanenvereinigung eine enge Straße zwischen kleinen, liebevoll gepflegten Steinhäusern weiterführte.
    »Dahinten muß es sein«, sagte Sgubin und hielt vor drei Steinblöcken, die eine Weiterfahrt unmöglich machten. »Sentiero dell’Amicizia« stand auf einem Schild, das Freundschaft zwischen den Gemeinden Dolina auf italienischem Territorium und Sesana in Slowenien verkündete.
    »Bist du sicher, daß es hier ist?« fragte Laurenti.
    Sgubin nickte.
    »Und wo sind die Fahrzeuge der Kollegen?«
    »Keine Ahnung. Gehen wir das letzte Stück zu Fuß.«
    Das Thermometer zeigte zweiunddreißig Grad und die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht, doch in dem von hohen Abhängen umsäumten Tal bildeten dichtgewachsene Bäume ein schattiges Dach.
    Sie folgten den farbigen Markierungen an den Bäumen, die den Wanderweg anzeigten. Niemand außer ihnen war hier unterwegs. Sie hatten beide nicht das richtige Schuhwerk, um mit sicherem Tritt über die Geröllhalden zu kommen, die den Weg an manchen Stellen verschüttet hatten. Die Luft schien stillzustehen, und das Gezirpe der Zikaden war ohrenbetäubend. Irgendwann hörten sie das Flappen der Rotorblätter eines Hubschraubers über sich.
    »Herrlich«, sagte Sgubin und setzte sich auf einen Stein. Mit seinen Turnschuhen hatte er es zwar leichter als sein Chef, war aber dennoch früher müde. »Unter normalen Umständen müßte man hier unglaublich romantische Wanderungen unternehmen können.«
    »Ich sag dir nur eins«, keuchte Laurenti, »wenn das nicht der richtige Weg ist, dann bring ich dich um.«
    Sgubin lachte und zeigte auf ein Kirchlein, das hoch über ihnen einsam auf einem Felsvorsprung thronte. »Dann begrab mich bitte da oben.«
    »Glaub bloß nicht, daß ich dich dort hinauftrage. Ich erschlage dich mit einem Stein und werfe dich in den Fluß.« Laurenti schüttelte sich. Zwei Wochen noch, dann würde er ihn lossein.
    Als sie nach einer weiteren Viertelstunde Weges unter sich einen Wasserfall sahen, der tief in ein ausgewaschenes Becken fiel, hörten sie auch Stimmen aus der Ferne. Sicher die Kollegen. Dann näherte sich wieder der Helikopter, der noch zwei Runden zog, aber nicht landete, und schließlich in Richtung Triest verschwand. Laurenti dachte, daß es jedesmal die gleiche Geschichte war: Obgleich die Bedingungen eine Landung nicht zuließen, wurde das Gerät angefordert, als handelte es sich um ein archaisches Ritual. Lärm machen, um zu zeigen, daß man tätig war. Der Weg wurde fester und leichter zu begehen, und dann tauchten nicht allzuweit entfernt im Schoß des Tals die Dächer von drei Häusern auf. Endlich sahen sie die Absperrung. Und auch das Geräusch von Fahrzeugen war zu vernehmen. Laurenti, der schweißgebadet war und dessen Hemd dunkle Flecken aufwies, griff Sgubin am Arm und blieb stehen.
    »Weißt du, was das ist?«
    »Was?« fragte Sgubin und schaute um sich.
    »Brummmm«, sagte Laurenti. »Was macht brummmm?«
    »Brumm?« Sgubin schnitt eine Grimasse.
    »Autos, du Idiot. Wir haben schon jetzt eine halbe Stunde verloren und uns völlig unsinnig dieser Hitze ausgesetzt. Es gibt eine Straße hierher, du Genie! Und es gibt Häuser.«
    Ein Steg führte über den Fluß, und auf einem Stein stand mit weißer Farbe »Trattoria« über einem Pfeil. Doch die Markierungen und die Stimmen führten sie wieder

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