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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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gesehen.
    *
    Vor der Bar Unità herrschte noch wenig Betrieb. Es war die Zeit zwischen Aperitif und Nachtrummel, der auf diesem Platz bis zum Morgengrauen anhalten konnte. Angelo und Calisto saßen an einem der Tische, hatten bereits den zweiten Negroni vor sich und kommentierten die in Grüppchen entlangschlendernden jungen Frauen. Auch Mia war vorbeigekommen.
    »Die Australierin könnte mir gefallen«, sagte Angelo. »Sie hat eine Figur wie eine Sanduhr.«
    Calisto winkte ab. »Aber sie macht Probleme.«
    »Geld fehlt ihr auch nicht. Die Eltern haben ein riesiges Weingut. Und der Fund von heute nachmittag hat sie auch nicht ärmer gemacht. Die Kleine war ganz fertig.«
    »Sie zickt. Die Polizei hat bei der Notarin nachgefragt, ob ich in ihrem Auftrag die Gans zum Lager begleiten sollte. Sie hat es zwar bestätigt, aber mich dafür anschließend durch die Mangel gedreht, als wäre ich ein Kinderschänder. Frauen!«
    »Wahrscheinlich hast du sie angemacht!«
    Calisto winkte ärgerlich ab. »Quatsch. Ich hatte einen Zweitschlüssel, aber ihr nichts davon gesagt. So geht es einem, wenn man freundlich ist. Sie hat mich die ganze Zeit wie Dreck behandelt. Aber ich werde sie davon überzeugen, daß sie sich getäuscht hat. Vielleicht lade ich sie zum Abendessen ein, oder ich geh mit ihr schwimmen. Dann beruhigt sie sich schon. Und scharf ist sie wirklich.«
    »Laß die Finger von ihr!« Angelos Stimme war streng. Der Gedanke, daß Calisto sich an die Australierin heranmachen könnte, gefiel ihm nicht. Er hatte sie früher kennengelernt als sein Freund und sogar ihr Auto repariert. Und ein bißchen hatte er sich schon in sie verliebt.
    »Laß die Finger von ihr!«
    Calisto richtete sich so abrupt auf, daß er dem Tisch einen heftigen Stoß verpaßte und die Gläser überschwappten. »Mach mal halblang!« Er winkte dem Kellner und bestellte die nächste Runde. »Ich habe nur versucht, dieses Scheißtor zu öffnen. Es war alles hoffnungslos verrostet. Und dann kam das Fräulein plötzlich durch ein Fenster eingestiegen und wollte mich mit der Axt erschlagen. Geht man so mit einem Liebhaber um?«
    »Du übertreibst. Die kann nicht einmal einer Fliege etwas antun. Die Kleine ist lieb und schüchtern«, sagte Angelo mit einem gequälten Lachen.
    »Die? Die hat es faustdick hinter den Ohren.« Calisto winkte ärgerlich ab. »Sie tut nur so naiv. Ich mache jede Wette, daß ich sie ins Bett kriege. Schade ist es nur um das Zeug in der Halle. Man hat die Türen versiegelt und eine Wache abgestellt. Dabei könnte man es wunderbar versilbern. Ich wüßte eine Menge Kunden dafür.«
    »Das kannst du für den Moment vergessen. Da kommst du nicht ran.«
    »Ich werde mit der Signorina mal ein ernstes Gespräch unter vier Augen führen«, sagte Calisto und schaute zwei Mädchen nach, die leichtbekleidet an ihrem Tisch vorbeigingen.
    »Laß sie in Ruhe«, fauchte Angelo. »Wenn du mir in die Quere kommst, gibt’s Ärger.«
    *
    Mia war auf den Molo Audace gegangen und hatte sich auf eine der Treppen, die zum Wasser führten, gesetzt, um den Sonnenuntergang zu genießen. Ein alter Herr mit einem ziemlich wild aussehenden schwarzen Hund hatte sie angesprochen und von der Pracht der Natur um Triest herum geschwärmt. Das Meer und der Karst, die Naturgewalten, die die Stadt beherrschten – sie hatte den Eindruck, daß er sehr in diesen Ort verliebt war. Doch lehnte er ihre Unterstellung empört ab.
    Ohne Ziel ging sie anschließend die Rive entlang und schaute sich die Lokale an. Sie entschied sich für das »Nastro Azzurro«. Kurz nach ihr kam auch der Alte mit dem Hund herein, nickte ihr freundlich zu und steuerte zielstrebig einen Tisch im hinteren Teil des Saals an. Er saß gewiß jeden Abend hier, dachte Mia.
    Sie aß einen Teller mit Vorspeisen und bestellte noch ein schwarzes Risotto vom Tintenfisch. Es gefiel ihr, in diesem alten Restaurant zu sitzen und die anderen Gäste zu beobachten. Sie sah, wie der alte Mann seinem Hund immer wieder verstohlen ein Stück der Grissini unter den Tisch reichte und mußte lachen, weil das Tier es jedesmal so laut schmatzend vertilgte, daß von Heimlichkeit keine Rede mehr sein konnte. Einmal kam die Taubstumme, die sie von ihrem ersten Abend bei »Gigi« in Servola kannte, und machte ihre Runde. Ob sie aus Triest kam? Sie hinkte stark und hatte ein vor Schmerz verzerrtes Gesicht. An ihrem Hals war eine Wunde, die sie besser mit einem Tuch verdeckt hätte, dachte Mia, die ihr fünf Euro gab. Von

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