Der Tod wirft lange Schatten
Nacktbadestrand war, durchfuhr ihn wie ein Messerstich. Hatte Mia ihm nicht einen Korb gegeben, weil sie angeblich zu viel zu tun hätte? Statt dessen lag sie also mit Calisto im Bett. In Angelo tobte die Eifersucht. »Verschwinde, bevor ich dir eine reinhaue«, knurrte er. »Und laß dich nie wieder hier blicken.«
Er machte auf dem Absatz kehrt und warf das Hoftor hinter sich zu. Mitten im Vorgarten blieb er einen Moment lang stehen, als er hörte, daß Calisto den Roller startete und mit Vollgas davonfuhr.
Es konnte einfach nicht wahr sein, daß das Schwein sich rücksichtslos an Mia herangemacht hatte. Dabei hatte doch er, Angelo, ein Recht auf sie. Er hatte Rücksicht auf sie genommen und sie nicht bedrängt. Und seine Mutter hatte Mia zum Mittagessen eingeladen, über Jahre hatten sie ein Auge auf das verlassene Nachbarhaus geworfen, sogar den Fiat hatte er repariert. Und jetzt? Angelo war wütend auf Calisto, auf Mia und auf sich selbst. Zornig ging er hinter das Haus, griff nach einem Spaten und begann, ein Stück Land umzugraben. Eine Arbeit, die er seit Wochen vor sich hergeschoben hatte. Manchmal machte er eine kurze Pause, um zu lauschen, ob vom Nachbarhaus ein Geräusch zu hören war.
*
Mia genoß das Leben in Triest, es schien, als würden alle sie mögen. Der Polizist war fast wie ein Vater zu ihr, der Colonnello der Carabinieri charmant, als machte er ihr den Hof, der Direktor der Bank hatte sie auf der Straße zum Kaffee eingeladen, und Rosalia, ihre Nachbarin, brachte ihr Gemüse aus dem eigenen Garten und freundliche Worte. Calisto war aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken. Sie konnte es kaum erwarten, daß er abends mit der Vespa von der Arbeit kam. Nur Angelo, der sich anfangs so um sie bemüht hatte, war verschlossen und grob. Aber das würde sich sicher legen.
Schnell lernte sie die Stadt und das Umland kennen. Es gab viel zu entdecken. Einmal fuhren sie sogar über die Grenze. Es war ein wunderbarer Nachmittag. Der Himmel im Westen war bis zur Mitte des Golfs kohlrabenschwarz und auf dem offenen Meer zog sich eine Wolkenwand bis zum Horizont. Doch dann blieb das drohende Unwetter plötzlich stehen und baute sich lediglich in der Höhe weiter auf, wie von einer riesigen undurchdringlichen Glasscheibe aufgehalten, die die Welt in Hell und Dunkel teilte. Triest lag noch unter gleißender Sonne, nur in der Ferne war Donnergrollen zu vernehmen. Der Maestrale hatte sich gelegt, es herrschte Windstille und die Luft war bleischwer. Calisto schlug vor, wegen der Hitze auf den Karst zu fahren, nach Socerb, oder San Servola, wie die Italiener die alte Burg nannten, die im Osten hoch über der Stadt lag und in den Schlachten der Jahrhunderte ein strategisch wichtiger Punkt war. Wer die Stadt nicht von dort oben gesehen hat, sagte Calisto, der kennt sie nicht und versteht sie so wenig wie jemand, der noch nie über den Seeweg nach Triest gekommen ist.
Zur Burg führte ein steiniger Pfad, auf dem Ziegen mit Glöckchen um den Hals herumstaksten und sich neugierig für die beiden Besucher interessierten. Im Restaurant, das im Hof lag, bestellten sie zwei Pelincovac auf Eis, istrische Amaro, und stiegen mit dem Glas in der Hand zum höchsten Punkt hinauf, von wo der Blick weit über die Küstenstädtchen Istriens schweift, über die Salinen von Capodistria, Triest und das Val Rosandra mit seinem tiefen Einschnitt in das Kalksteingebirge. Mia war glücklich. Die politische Grenze, die einst die Stadt von ihrem Hinterland amputiert und beide ihrer Kraft beraubt hatte, spielte aus der Vogelperspektive keine Rolle. Triest lag harmonisch in eine geographische Formation eingebettet, die kein Ende kannte. Mia sah die istrische Halbinsel zur Linken und im Westen unter dunklen Wolken die italienischen Adriabäder Grado, Lignano und Jesolo. Dort schien die Luft kristallklar, während sie auf der Sonnenseite fast im Dunst versank. Mia gab sich genußvoll der Hand Calistos hin, die auf ihrem Rücken auf und ab wanderte, während sie weit übers Gemäuer gebeugt den Ausblick genoß.
»Leider ist im Restaurant kein Platz mehr frei«, sagte er. »Den Sonnenuntergang und die Lichter der Stadt werden wir ein anderes Mal von hier oben sehen.«
»Einen Sonnenuntergang wird es kaum geben«, sagte Mia. »Da drüben blitzt es bereits.«
»Das Wetter ist wie die Politik. Unwahrscheinlich, daß irgendwelche Veränderungen bis nach Triest durchkommen. Das geht schon seit Wochen so. Das Gewitter entlädt sich über dem Meer,
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