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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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im Friaul oder auf dem Karst. Die dreißig Kilometer entlang der Küste sind stets anders.«
    »Wir schauen es uns von hier oben an«, sagte Mia. »Holst du mir noch was zu trinken?«
    Als Calisto zurückkam, küßte sie ihn.
    »Was hast du eigentlich vor?« fragte Calisto.
    Sie lachte. »Wie meinst du das?«
    »Willst du in Triest bleiben oder zurück nach Australien gehen?«
    »Ich habe keine Pläne«, sagte Mia. »Es gibt keine Entscheidungen, die ich treffen muß. Ich kann tun, was ich will. Das Waffenlager ist der einzige Klotz am Bein. Sonst nichts.«
    »Du hast gesagt, daß du das Haus verkaufen willst.«
    »Das ändert nichts. Eine Wohnung finde ich immer. Aber vielleicht verkaufe ich es auch nicht. Und wenn, dann geht es wohl kaum so schnell, daß ich mir heute den Kopf darüber zerbrechen müßte.«
    »Für das Lager könnte ich dir im Handumdrehen einen Käufer finden«, sagte Calisto und blickte in die Ferne. »Es gibt viele fanatische Waffensammler, die dafür ein Vermögen ausgeben würden.«
    »Warum sammeln Menschen Waffen?«
    »Warum sammeln sie Briefmarken oder Münzen?« sagte Calisto. »Aber du hast schon recht. Die Waffensammler, die ich kenne, haben fast alle einen Knall. Oft Faschisten und Nazis. Schwache Menschen, die sich mächtiger fühlen, wenn sie einen Panzer in der Garage haben oder eine Handgranate und eine Pistole im Wandschrank. Ich bin mir sicher, daß einige mit den gesammelten Objekten sofort Krieg führen könnten. Das Zeug ist reizvoller, wenn es funktioniert. Und teurer. Ich habe einmal damit gehandelt.«
    »Warum?«
    »Leichtes Geld, ganz einfach.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Ich habe da keine Skrupel. Wenn ich an solches Zeug komme, dann verkaufe ich es. Sonst tut es ein anderer. Moral oder Politik schert mich einen feuchten Dreck.«
    Früh am nächsten Morgen hatte sie Calisto mit einem langen Kuß verabschiedet und anschließend ausgeschlafen. Mit einer Tasse Kaffee setzte sie sich später über die Unterlagen der Tante. Viel verstand sie nicht von dieser bürokratischen Sprache. Es war bereits Mittag, als Mia bei den Nachbarn klopfte und nach Angelo fragte.
    Rosalia, freundlich wie immer, überredete Mia, zum Mittagessen zu bleiben. Nur Angelo würdigte die junge Frau keines Blickes und hockte sich wortlos an den Tisch.
    »Ich wollte dich fragen«, sagte Mia zu Angelo, »ob du mir ein wenig mit den Unterlagen helfen kannst. Bei dem ganzen juristischen Kram bin ich aufgeschmissen. Dazu reicht mein Italienisch dann doch nicht ganz.«
    »Keine Zeit.« Angelo blickte nicht von seinem Teller auf.
    »Wieso?« fragte seine Mutter aufgeregt. »Die Arbeit hinter dem Haus kann doch warten. Das hat keine Eile. Du hast sie schon Monate verschleppt. Geh mit Mia rüber und schau dir die Dinge an.«
    »Ich habe gesagt, daß ich nicht kann.« Er schlang die letzten Bissen herunter, schob geräuschvoll seinen Teller weg und stand auf. »Such dir jemand anderen.«
    Die Küchentür fiel mit einem lauten Knall hinter ihm ins Schloß. Kurz darauf hörten sie, daß er seinen Lieferwagen startete und vom Hof fuhr.
    »Ich weiß nicht, was er hat. Er ist sonst nie so. Schon heute früh hatte er einen lautstarken Streit mit seinem Freund Calisto, dem er zufällig vor dem Haus begegnete. Wenn du willst, helfe ich dir. Aber ich verstehe auch nicht viel von diesem bürokratischen Zeug.«
    Mia wollte es noch einmal selbst versuchen und verabschiedete sich. Sie stellte einen Tisch unter den Baum im Hof und breitete die Akten darauf aus. Wenn sie sich konzentrierte, könnte sie den Wust an Unterlagen heute zumindest ordnen. Es war Zeit, endlich weiterzukommen. Auch Calisto würde ihr vielleicht Neuigkeiten bringen, wenn er die Dokumente im Grundbuchamt durchgesehen hatte.
    Es war ein dicker, ungeordneter Stapel Papier, den sie in einem Wandschrank gefunden hatte. Die Tante hatte nicht viel von Ablage gehalten. Blatt für Blatt mußte Mia sich vorkämpfen. Telefon- und Elektrizitätsrechnungen überprüfte sie auf die Adressen, aber das Lager kam nicht vor. Briefe und Weihnachtskarten überlas sie flüchtig und legte nur jene auf einen gesonderten Stapel, auf denen sie die Handschrift ihrer Mutter erkannte, Grüße zu Geburts- und Feiertagen. Einmal berichtete sie stolz von Mias Abiturfeier. Immer wieder fielen Quittungen zwischen den Papieren heraus, die sie nur mit Mühe zuordnen konnte. Grundsteuer, Versicherungen, Wasser, Strom, Müllabfuhr, alles befand sich in einem heillosen Durcheinander.

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