Der Tod wirft lange Schatten
Scherz mit meinem Roller erlaubt. Die Reifen sind platt, das Ding muß in die Werkstatt. Du hast einen Lieferwagen, mit dem man das erledigen könnte, ohne einen Abschleppdienst zu rufen.« Calisto legte die Münzen für den Kaffee auf den Tresen und wollte auch für seinen Freund bezahlen.
»Behalt dein Geld. Ich bezahle selbst«, fauchte Angelo und drehte ihm die Schulter zu. Er blätterte demonstrativ im Piccolo und fuhr wütend herum, als Calisto ihm die Hand auf die Schulter legte. Es ging alles ganz schnell. Seine Faust landete mitten in Calistos Gesicht. Benommen taumelte der ein paar Meter zurück und prallte gegen einen Tisch. Blut schoß aus seiner Nase. Bevor er sich wieder aufrappeln konnte, setzte Angelo nach. Zwei Treffer an Kinn und Schläfe schickten Calisto endgültig zu Boden. Bevor er wieder klar sah, erkannte er den Schatten Angelos über sich.
»Rat mal, wer deinen Drecksroller platt gemacht hat?«
Angelos Tritt in den Unterleib raubte ihm die Sinne. Als Calisto wieder zu sich kam, sah er das Gesicht des Wirts, der sich über ihn beugte und ihm ein Glas Wasser an die Lippen hielt. Zwei Männer faßten ihn unter den Achseln und hoben Calisto auf einen Stuhl.
»Ihr habt wohl ein Problem«, sagte der Wirt.
Calisto tastete seine Zähne und die Nase ab und nickte schwach. »Es geht schon wieder«, sagte er mit schmerzverzerrter Stimme und versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. »Ruf mir ein Taxi.«
*
»Angelo«, rief Mia zum Fenster hinaus, als sie ihren Nachbarn im Garten arbeiten sah. Sie hatte eine Tasse Kaffee in der Hand und nur ein leichtes Hemd übergeworfen, das ihr knapp über den Hintern reichte. »Angelo, willst du einen Kaffee?«
Der Mann richtete sich auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann stützte er sich auf seinen Spaten und schaute herüber.
»Komm, er ist ganz frisch.«
Angelo schaute sie noch einen Augenblick lang schweigend an, dann faßte er sich ein Herz, stieß den Spaten in die Erde und ging los. Unter ihrem Fenster blieb er stehen.
»Hat es dir die Stimme verschlagen?« Mia reichte ihm eine Tasse hinunter.
»Danke«, sagte er leise.
»Was machst du am Nachmittag? Hast du schon etwas vor?«
»Warum?«
»Ich dachte, wir könnten gemeinsam etwas unternehmen. Aber wenn du keine Zeit hast...« Mia hatte sich vorgenommen, die schwarzen Wolken, die sich zwischen ihnen aufgetürmt hatten, zu verscheuchen. Nach Calistos Meinung war Angelo schlicht und einfach eifersüchtig.
»Doch, doch«, sagte Angelo schnell.
Routine
Ein hektischer Vormittag. Jetzt lag das Foto vor, das eine Polizeistreife auf Mariettas Anweisung bei Rosalia abgeholt hatte. Die Identität des Toten schien geklärt. Laurenti beschloß, noch vor der Pressekonferenz mit Sgubin nach Servola zu fahren.
Die alte Frau öffnete mit sorgenvollem Blick und bat sie herein. Ihr Sohn, erzählte sie, sei an jenem Nachmittag mit Mia verabredet gewesen, habe aber seine Absicht wohl geändert, nachdem die junge Dame die Nachricht vom Tod eines Verwandten in Australien erhalten hatte. Laurenti war überrascht darüber, daß Mia ihm davon nichts gesagt hatte, obgleich sie fast täglich wegen des Lagers anrief. Er bat Sgubin, ein Protokoll aufzunehmen und Rosalia auf die Notwendigkeit der Identifizierung vorzubereiten. Dann fragte er telefonisch Doktor Zerial in der Gerichtsmedizin, ob der Leichnam auch nach der Obduktion nicht an Frankensteins Werkstatt erinnerte und die Angehörigen bei der Identifizierung mehr als nötig schockierte. Er hatte sich diese Nachfrage während Galvanos Amtszeit angewöhnt, dessen Fähigkeit zu Mitgefühl eingeschränkt war. Zerial hatte Laurenti auch die genaue Todesursache genannt. Der Mann war qualvoll erstickt an einem Ohrring, den der Gerichtsmediziner aus der Luftröhre geschnitten hatte. Kein schöner Tod, dafür einzigartig. Doch wem gehörte der Schmuck?
Mia schaute Laurenti mit großen Augen an, als sie die Tür öffnete. Im ersten Moment wollte sie ihm gleich alles beichten, doch fing sie sich rasch wieder, als er zu sprechen begann.
»Ich war gerade in der Nähe und wollte sehen, wie es Ihnen geht«, sagte Laurenti. »Ihre Nachbarin hat erzählt, daß Sie einen Todesfall in der Familie haben. Darf ich Ihnen mein Beileid aussprechen?«
Mia nickte stumm.
»Ein Verwandter«, sagte Laurenti. »Standen Sie ihm sehr nahe?«
Mia nickte. »Mein Lieblingsonkel. Ein wunderbarer Mensch.« Das war keine Lüge, Laurenti hatte schließlich nicht nach dem Todesdatum
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