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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Irgendwann war Mia müde. Sie beschwerte die Dokumente mit Steinen, damit der sanfte Wind, der aufgezogen war, sie nicht davonwehte. Dann ging sie ins Schlafzimmer, um sich auszuruhen, doch durchs offene Fenster drang der Lärm einer Motorsäge aus dem Nachbargarten. Sie zog sich ein T-Shirt über und ging zu Angelo.
    »Warum bist du so verschlossen?« fragte sie.
    »Bin ich nicht.«
    »Ich wollte dich fragen, ob du morgen nachmittag frei bist. Wir könnten schwimmen gehen und anschließend eine Pizza essen. Was meinst du?«
    »Wann?« Ein bißchen Freundlichkeit schien in seinen Augen aufzublitzen.
    »Morgen?«
    »Ich weiß noch nicht, ob ich Zeit habe.«
    »Sag mir Bescheid.«
    Am Abend, als es auf der Straße hupte und Mia hörte, wie der Motor des Rollers abstarb, rannte sie ihrem Geliebten entgegen.
    »Rat mal, was ich gefunden habe«, rief sie.
    »Und du rat mal, was ich gefunden habe«, antwortete Calisto und zog einen großen Briefumschlag aus dem Gepäckfach.
    »Rate du zuerst«, sagte Mia.
    »Eine Flasche Wein im Keller?«
    »Quatsch. Rate weiter.«
    »Noch eine Lagerhalle?«
    »Blödmann. Komm rein. Es ist der Kaufvertrag! Und was hast du?«
    »Genau den habe ich auch gefunden«, sagte Calisto enttäuscht und wedelte mit dem Briefumschlag. »Dein Onkel hat die Halle bei einer Zwangsversteigerung für wenig Geld bekommen. 1969.«
    »Stimmt genau. Komisch, daß Tante Alda nichts davon wußte. Es scheint, der Onkel hatte so seine Geheimnisse.«
    »Die Halle gehörte zu einer der Werften, die in jenen Jahren pleite machten. Eine nach der anderen. Das waren bittere Zeiten für die Stadt. Ich kann mich noch dunkel daran erinnern. Und was hast du noch gefunden?«
    »Quittungen und Rechnungen und Briefe und Versicherungsunterlagen und und und. Willst du einen Aperitif?« Sie führte Calisto zu dem Tisch unter dem Baum und küßte ihn erneut. »Ich habe übrigens Mama von dir erzählt«, sagte Mia schließlich. »Sie will dich unbedingt kennenlernen.«
    Calisto runzelte die Stirn. »Du ahnst gar nicht, was für einen Durst ich habe.«
    »Sie hat uns beide eingeladen. Sogar den Flug will sie bezahlen. Wann wir wollen. Es wird dir bestimmt gefallen.«
    »Im Winter«, sagte Calisto. »Der Sommer in Triest ist zu schön, um wegzufahren.«
    Als Mia mit Gläsern und einer Flasche Weißwein zurückkam, schauten sie die Unterlagen durch, die sie inzwischen geordnet hatte. Sie überließ es Calisto, zu entscheiden, was davon wichtig war. Was für einen merkwürdigen Schreibstil die alten Leute hatten.
    Bald hatte sich der Stapel gelichtet. Aber einen Mietvertrag oder auch nur einen entfernten Hinweis darauf, wie das Kriegsgerät in die Lagerhalle gekommen war, hatten sie nicht entdeckt.
    *
    Wie schnell sie sich aneinander gewöhnt hatten! Sein eigenes Bett hatte Calisto schon lange nicht mehr gesehen. Mia nahm ihn voll in Beschlag, und er war glücklich darüber, daß das Schicksal ihm eine so intelligente und attraktive Gefährtin zugespielt hatte. Wenn er daran dachte, wie viele Affären er sonst auf einmal hatte, verstand er sich selbst nicht. Und daß er sich an Mia aus ganz anderen Gründen herangemacht hatte, war spurlos aus seinem Gedächtnis verschwunden.
    Calisto ging wie jeden der letzten Morgen kurz vor acht aus dem Haus. Als er die Hoftür öffnete, sah er seinen Motorroller in einer Benzinlache auf der Straße liegen. Er nahm an, daß ihn ein Besoffener in der Nacht gerammt hatte, doch als er das Gefährt aufrichtete, stellte er fest, daß beide Reifen platt waren. Calisto stieß einen derben Fluch aus. Er hatte kein besonderes Talent für Reparaturen. Nur ein Abschleppwagen konnte den Roller zur Werkstatt bringen. Oder Angelo mit seinem Lieferwagen, falls er sich wieder beruhigt hatte.
    Calisto klingelte am Nachbarhaus. Es dauerte einen Augenblick, bis Rosalia öffnete und sagte, Angelo sei wie jeden Morgen ins Dorf gegangen, um in der Bar die Zeitung zu lesen. Calisto hatte ihn schnell gefunden und klopfte ihm zur Begrüßung auf die Schulter. Angelos Antwort war ein gehässiger Blick und eine schroffe Armbewegung, die ihn Abstand nehmen ließ.
    »Was willst du?« fragte Angelo gereizt.
    »Das ist ja eine nette Begrüßung«, sagte Calisto. »Du bist wohl mit dem falschen Bein aufgestanden.«
    »Was geht dich das an. Hau ab.«
    »Zu freundlich.« Calisto bestellte einen Espresso. »Dabei wollte ich dich gerade um einen Gefallen bitten.«
    »Such dir jemand anderen.«
    »Irgend jemand hat sich einen üblen

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