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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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er, daß in Kroatien derzeit die Stimmung überkochte. Wegen der bevorstehenden Wahlen waren verstärkt nationalistische Scharfmachersprüche zu hören. Auch der Fischereikrieg zwischen Kroatien und Slowenien flammte wieder auf. Die Kroaten wollten ihren Nachbarn die Durchfahrt auf internationale Gewässer verbieten. Immer wieder kam es zu Übergriffen, die zum Glück ohne ernste Konsequenzen blieben. Und Živa hatte erst vor kurzem davon gesprochen, für das Parlament in Zagreb kandidieren zu wollen. Viele ihrer Freunde hatten sie dazu aufgefordert. Sie, die in München studiert hatte, mühelos mehrere Sprachen beherrschte und ins Heimatland zurückgegangen war, weil sie sich verantwortlich fühlte, sollte ihr Wissen zum Aufbau beisteuern. Živa, die ihr langes braunes Haar meist als dicken Zopf geflochten trug, wollte alte Zöpfe im Land abschneiden. Sie, die stets ihre Unabhängigkeit verteidigt hatte und nie verlangte, daß Proteo sich entscheiden müsse, zwischen ihr und seiner Frau. Živa, die stets darauf beharrte, daß jeder sein eigener Herr sei, wollte sich auf einmal binden: An die Politik des Landes. Und seit Wochen hatte sie kaum mehr Zeit für ihren Geliebten in Triest.
    Müde und unzufrieden stieg er die Treppen zu seinem Büro hinauf. Er hatte gehofft, Živa an einem der nächsten Tage zu treffen, mit ihr auf der idyllischen Terrasse der »Gostionica Belveder« vor den Toren Cittanovas Meeresfrüchte zu essen und dann schwimmen zu gehen, anstatt zu Hause den weiß der Herrgott wievielten Grillabend zu verbringen.
    Es blieb ihm wenig Zeit, sich mit seinen enttäuschten Sehnsüchten zu beschäftigen. Marietta erwartete ihn. Sie war noch sonnengebräunter als gestern und verströmte einen beißenden Geruch von Grillfeuer. Er rümpfte die Nase.
    »So früh?« fragte er spöttisch. »Direkt vom Lagerfeuer? Wie war die Orgie, Brathuhn?«
    »Der Tote im Val Rosandra hat vielleicht einen Namen«, sagte Marietta, ohne irgendwelche Worte für die Begrüßung zu verschwenden. »Zumindest die Beschreibung paßt. Eine alte Frau aus Servola hat angerufen, weil ihr Sohn in der Nacht nicht nach Hause gekommen ist. Sie macht sich Sorgen. Ich habe eine Streife hingeschickt, um ein Foto des Jungen abzuholen.«
    »Aber der Mann ist doch mindestens Mitte Vierzig«, sagte Laurenti.
    »Eben.« Marietta strahlte übers ganze Gesicht. Sie hatte schon lange keine Gelegenheit mehr gehabt, ein wichtiges Detail vor ihrem Chef zu wissen. In den vergangenen Monaten war einfach zu wenig passiert. Wie es schien, gab die Sache ihr Auftrieb.
    »Und ihr Söhnchen war noch nie so lange weg? Hat in diesem Alter noch nie eine Nacht außerhalb von Mutters Fittichen verbacht? Du wirst sehen, bevor die Streife dort ist, sitzt er am Küchentisch und läßt sich Kaffee kochen. Was ist mit der Obduktion?«
    »In etwa einer Stunde soll alles fertig sein.« Marietta zuckte die Schultern. »Gibst du mir den Nachmittag frei, wenn ich recht habe? Hier ist die Adresse.«
    »Ich bin eher dafür, daß du länger im Büro bleibst, anstatt dir die Haut zu versengen. Aber wenn du willst, dann kannst du jetzt gerne nach Hause gehen und dich frisch machen. Davor allerdings machst du mir bitte einen Termin mit Galvano zum Mittagessen.«
    Die Adresse aus Servola kam ihm bekannt vor. Mit einem Blick in die Akte über die beschlagnahmte Lagerhalle stellte er fest, daß es sich um einen Nachbarn der jungen Australierin handelte.
    »Marietta, ruf Sgubin«, sagte Laurenti. »Wir fahren hin.«

Mia war glücklich
    Am vierten Tag nach Mias Ankunft war Angelo wie jeden Morgen aus dem Haus gegangen, um die Zeitung zu kaufen und in der Bar den zweiten Kaffee zu trinken. Er traute seinen Augen nicht, als er Calisto, dessen Motorroller direkt vor der Einfahrt parkte, aus dem Hof des Nachbargrundstücks kommen sah. Calisto grüßte ihn mit einem verschmitzten Lächeln.
    »Sie ist wirklich nett, die Kleine«, sagte er grinsend. »Und unersättlich.«
    Angelo gefror das Blut in den Adern. »Du machst Witze! Sag mir, daß es nicht wahr ist.«
    »Was, daß sie gut vögelt? Aber es ist so.«
    Angelo zitterte am ganzen Leib. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst die Finger von ihr lassen.«
    »Manchmal kommt es anders, als man denkt.« Calisto klapperte mit dem Schlüsselbund. »Und das ist gut so. Sie ist einfach wunderbar. Jede Nacht bis zur Morgendämmerung. Gestern waren wir zuerst schwimmen, Liburnia, und dann...«
    »Halts Maul!« Die Vorstellung, daß Calisto mit Mia am

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