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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Kleinkriminalität. Dafür ist sie Schnittschnelle für die neuen Mafia-Organisationen, die sich hier niederlassen oder hier durchkommen und die besondere geographische Position als Basis für ihre Operationen nutzen. Schmuggel jeder Art, Menschenhandel, neue Sklaverei, der Handel mit menschlichen Organen, Drogen. Organisierte Banden stehen heute in ganz Europa miteinander in Verbindung...«
    Laurenti kannte die Zahlen auswendig und hörte dem Chef, neben dem er auf dem Podium saß, nur mit einem Ohr zu. Er blätterte in den Unterlagen, die zu kommentieren ihm überlassen wurde, während der Questore eher die Rolle des Politikers übernommen zu haben schien.
    »Und eines möchte ich besonders betonen: Es ist nicht richtig, daß die Ausländer im Land mehr Straftaten begehen als die Einheimischen.« Der Chef schaute mit ernstem Gesicht in den Saal, als wollte er sich versichern, daß jeder der Anwesenden diese Aussage auch richtig verstanden hatte. Dann schloß er seinen Vortrag mit den Worten. »In jedem Fall braucht die Polizei die Unterstützung von Politik und Bevölkerung, damit wir näher bei den Bürgern sind und das reibungslose Funktionieren der Grundwerte unserer Gesellschaft garantieren können.« Und zu Laurenti gewandt sagte er: »Mein Stellvertreter wird Ihnen jetzt die Details des Kriminalreports des Jahres 2002 erklären.« Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück.
    »Parenti serpenti«, begann Laurenti und verbiß sich »fratelli coltelli«, als er einige Lacher im Publikum vernahm. Dann machte er sich an die Interpretation der trockenen Daten. Was er zu sagen hatte, war kein heiteres Bild einer fröhlichen Gesellschaft. Die Gesamtzahl der Morde in Italien war zwar deutlich zurückgegangen, dafür hatte die Anzahl der Gewalttaten innerhalb von Familien und unter Nachbarn in einem erschreckenden Maß zugenommen. Landesweit 1200 Tötungsdelikte im Vorjahr, aber 51,5 Prozent davon geschahen im engen privaten Umfeld. Die Steigerungen gegenüber dem Vergleichszeitraum waren alarmierend: Über 69 Prozent hatten die Morde unter Nachbarn zugenommen, 58 Prozent die zwischen Bekannten, 33 Prozent in der Arbeitswelt. Die Morde hingegen, die eindeutig von der organisierten Kriminalität zu verantworten waren, hatten abgenommen, die Zahl jener aber, die nicht zugeordnet werden konnten, war gestiegen. Laurenti hatte trockene Werte vorzutragen, die Interpretation mußte er anderen überlassen. Das sah sein Amt nicht vor, wenngleich er eine Menge dazu zu sagen gehabt hätte. Aber dann hätte er eine politische Rede halten müssen, die alles andere als neutral ausgefallen wäre. Von den zunehmenden gesellschaftlichen Existenzängsten, dem immer stärker werdenden ökonomischen Druck und der immer weiter auseinanderklaffenden sozialen Schere hätte er sprechen müssen. Das hätte ihn seinen Job gekostet.
    Marietta hatte inzwischen den Termin mit Galvano bestätigt. Der Alte wartete vermutlich schon auf ihn. Er winkte ab, als die Reporterin des Regionalfernsehens ihn vor dem Ausgang abpaßte, und ging lächelnd an ihr vorbei, ohne einen Blick auf das Mikrofon zu werfen.

Pizza für alle
    »Entschuldige das karge Mahl«, sagte Viktor Drakič süffisant, als er Jože Petrovac auf dem Parkplatz der Pizzeria vor der Ortseinfahrt nach Cittanova verabschiedete. »Aber diese Orte sind die sichersten.«
    Petrovac klopfte ihm auf die Schulter. »Es war fast so gut wie im Gefängnis.«
    Sie hatten sich lange nicht gesehen und mußten eine Menge besprechen. Wie üblich hatte Petrovac eine Zigarette nach der anderen angezündet und selbst zwischen den Bissen, die er sich hastig in den Mund schob und schlecht zerkaute, geraucht. Er war ein nervöser Mensch, obgleich seine Geschäfte blendend liefen, und dank der Findigkeit seiner Anwälte und einer Menge Schmiergeld war er auf freiem Fuß. Eine baldige Wiederaufnahme seines Prozesses schien nicht bevorzustehen. Die Behörden in Zagreb waren mit der Abwehr des Auslieferungsgesuchs einiger Kriegsverbrecher nach Den Haag beschäftigt. Außerdem bemühte sich Kroatien um die Aufnahme in die Liste der Beitrittsländer in die Europäische Union und mußte eine gute Figur machen, ohne den Forderungen des Auslands nachzugeben. Nationalistische Töne waren angesagt, und damit war es auch besser, den Fall Petrovac nicht wieder aufzuwärmen. Schon seine Festnahme vor knapp zwei Jahren war nur auf internationalen Druck hin geschehen. Während er im Gefängnis saß, hatte Viktor Drakič die

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