Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman
der Mündung kam. Er konnte den Schuss seines Feindes nicht aufhalten, aber zumindest flog Erasmus’ bewaffneter Arm in die Luft.
Und dann Mabels Schrei.
Und das Zucken von Ruth im Rollstuhl.
Und die Tür.
Méndez hatte sie aufgetreten und kroch jetzt wie eine Schlange in den Raum. Er hielt sich die Innenseite der Oberschenkel – oder das, was dort gewesen war, bevor die Kugel ihn gestreift hatte. Vielleicht durch den Schmerz, vielleicht aber auch aus Angst, war er agil wie nie zuvor. Er schleppte sich bis zu Ruths Füßen neben ihren Rollstuhl und hielt in der rechten Hand eine Kanone, die eines Iowa-Schlachtschiffs würdig gewesen wäre. Méndez sagte gern, mit diesen Kugeln erspare man sich die Krankenhauskosten, es waren so gesehen ökonomische Kugeln.
Und er feuerte.
Warum Zeit mit Erasmus vergeuden.
Eine Anzeige mehr machte jetzt auch nichts mehr aus.
Er zielte auf den Kopf, auch wenn der Leichnam dann kein Gesicht mehr haben würde. Aber seine Position war zu unglücklich, um richtig zielen zu können in der kurzen Zeit. Denn Erasmus richtete bereits seine Waffe auf ihn. Er hatte nur kurz gezögert nach Miralles Schlag.
Doch er traf nicht.
Die Kugel durchschlug den Schrei von Munch.
Und die teuflische Geschwindigkeit dieses Moments wurde noch überboten von dem, was folgte. Miralles verlor keine Zeit damit, sich seine Pistole zu schnappen, die fast vor Ruths Füßen lag. Mit hasserfülltem Blick ließ er seinen Fuß in die Richtung von Erasmus’ Hoden schnellen.
Ein Todesstoß.
Hätte er ihn getroffen, hätte in der Zeitung gestanden: »Im Kampf gefallen«.
Doch er streifte ihn nur, aber auch so kam ein spitzer Schmerzensschrei aus Erasmus’ Mund.
Er prallte gegen eine Wand, und der nächste Schrei folgte.
Miralles sah die offen stehende Tür.
Erasmus hatte die Waffe noch in der Hand, aber er hatte noch nie direkt mit jemandem gekämpft. Wie Omedes war er einer, der gefesselte Mädchen befummelt, ein verdammter Feigling. Méndez zeigte ihm, wie sehr er ihn liebte.
»Fahr zur Hölle.«
Ein weiterer Schuss aus der 45er, ebenfalls in den Unterleib. Aber Erasmus war schon nicht mehr da, er war auf die andere Seite der Tür gesprungen. Das Blei riss sie fast aus den Angeln. Und eine weitere Kugel, ebenfalls von Méndez, warf sie zu.
Dadurch hatte Erasmus ein paar Sekunden gewonnen. Sekunden nur. David Miralles begriff das sofort und sprang auf die Tür zu, ohne an seine Waffe zu denken. Die brauchte er nicht, um zu töten.
Währenddessen machte Méndez Anstalten, sich zwischen dem Rollstuhl und Mabel zu erheben, die wie gelähmt dastand.
Ihre einzige Reaktion war gewesen, sich schützend vor Ruth zu stellen. Sämtliche Knochen von Méndez knirschten bei dem Versuch aufzustehen, sozusagen in alphabetischer Reihenfolge.
Miralles heulte auf.
In dem Moment wurde er zur Maschine, unfähig zu denken.
Er sah die obere Etage.
Und die Treppe.
Und das Vestibül.
Keine Spur von Erasmus, nichts.
Nichts, nichts, nichts.
Erasmus ging seine Möglichkeiten durch. Sein erster Anwalt hatte es ihm gesagt. Er trug seinen Namen zu Recht, denn er war ein Weiser. Ihm war sonnenklar, was Miralles beim Herauskommen als Erstes sehen würde.
Er würde nach vorne schauen und nach unten. Nicht nach hinten. Nicht sofort. Deshalb drückte er sich direkt bei der Tür gegen die Wand.
Ein paar Sekunden wäre er ihm ausgeliefert. Mehr Zeit brauchte er nicht. Nachdem er Miralles von hinten niedergestreckt hätte, würde er jeden, der aus der Tür kam, mit Schüssen empfangen.
Doch Miralles tat etwas vollkommen Unerwartetes und doch Logisches. Sein Verstand funktionierte wieder blitzschnell, und binnen Zehntelsekunden schoss ihm durch den Kopf, dass der Flüchtige keine Zeit gehabt haben konnte, die Treppe hinunterzulaufen. Er konnte sich nur im Nachbarzimmer versteckt haben.
Und er sprang hinein.
Blitzschnell.
Die Tür. Und das andere Zimmer. Die Dunkelheit. Ein Fenster, hinter dem Lichter blitzten. Eine ferne Laterne, ein Fenster, hinter dem sich eine Frau auszog, die Leuchtreklame eines Supermarktes, die den Tag des Kunden ankündigte.
Und der Tod. Erasmus musste sich dort versteckt haben. Hinter der Dunkelheit musste der Tod lauern.
43
David Miralles dachte streng logisch. Erasmus hat sich hier versteckt und schießt, sobald ich das Licht anmache. Deshalb mache ich es nicht sofort an.
Ich werde ihn atmen hören.
›Das Atmen eines Tieres genügt für eine Kugel … sofern du eine hast‹, dachte
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