Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman
Krankenhausbett, sauber und perfekt gemacht. Auch die Frau war sehr sauber. Es war offensichtlich, dass sich jemand um sie kümmerte.
»Ich werde Sie ins Bett bringen. Ich gehe davon aus, dass es Ihnen nichts ausmacht, wenn ein Mann Sie auszieht.«
»Wer sind Sie?«
»Ich bin ein Freund von Mabel.«
»Und weshalb sind Sie hier?«
»Darüber reden wir später. Sie sollten erst einmal schlafen. Ich vermute, Sie bekommen immer eine Tablette.«
»Man gibt mir alles Mögliche, durch den Mund und durch den Hintern, ich bin es leid. Zudem weiß ich genau, dass es überhaupt nichts nutzt, außer mich zu einem … mal sehen, ob ich das passende Wort finde … zu einem Leichnam im Dienste der Wissenschaft zu machen. Sie probieren Sachen an mir aus, um mich leiden zu lassen; wie ich gehört habe, machen sie das in vielen Krankenhäusern. Wenn eine Mixtur dein Leben verlängert, oder wenn du dabei zugrunde gehst, probieren sie es noch an einem weiteren Dutzend Patienten aus und lassen sich das Ganze dann patentieren. Und ich will gar nicht daran denken, was sie erst mit den armen Tieren machen … Aber ich bin kein Tier. Wenigstens weiß ich, dass ich ein Recht habe, in Würde zu sterben.«
»Soweit ich es verstanden habe, ist das zwar ein Recht, aber man muss es ausdrücklich und auf legale Weise einfordern.«
»Ich habe es eingefordert, aber niemand schert sich darum. Ich bin nur als Versuchskaninchen gut.«
Sie drehte den Kopf zum Fenster, sog gierig die Luft ein und sagte dann mit rauer Stimme:
»Mabel will sich an mir rächen. Sie will meine Krankheit so lange wie möglich hinauszögern. Sie will, dass ich leide.«
Miralles gab ihr keine Antwort. Während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, nahm er sie auf den Arm und trug sie zum Bett. Sie wog fast nichts. Die Krankheit hatte sich in ihrer Haut festgesetzt, sie war nur mehr ein Stück Wachs. Sie hatte sich in ihren Knochen festgesetzt, sie waren nur noch leere Schalen, das Kalzium in ihnen hatte sich in Luft aufgelöst.
Die Zeit zerstört alles, dachte Miralles distanziert, und das Schlimmste ist, dass wir es sind, die die Zeit erschaffen, sie erzeugen.
»Ich habe Sie vorhin gefragt, ob es Sie stört, wenn ein Mann Sie auszieht.«
Madame Ruth lachte kurz, nachdem sie einen neuen Hauch Luft eingesogen hatte.
»Wieso sollte mich das stören? Es gab mal eine Zeit, in der mich ein paar Männer ausgezogen haben, nur ein paar, machen Sie sich kein falsches Bild. Und ich habe sie ausgezogen. Wieso, verdammt, sollte ich mich da schämen? Obwohl das natürlich etwas anderes ist. Früher war ich eine Frau, jetzt bin ich nichts.«
»Ich sehe, Ihr Bett ist sehr sauber.«
»Ja. Wenigstens darin ist Mabel vernünftig. Es ist immer jemand da, der sich um mich kümmert, nur heute Nacht ist niemand gekommen.«
Und sie fügte hinzu:
»Ich bin es gewohnt, gut behandelt zu werden. Ich war eine Dame.«
»Mabel hat mir so etwas erzählt.«
»Wie haben Sie Mabel kennengelernt?«
»Das hat keine Bedeutung.«
»Natürlich hat es das nicht. Mabel kennt viele Leute und spricht mit vielen Leuten. Sie kann raus, und ich kann mich nicht bewegen. So, da hat Mabel Ihnen also ein paar Sachen erzählt … Gut, vielleicht hat Sie Ihnen von dem Spanien erzählt, das mich zur Dame gemacht hat. Das Spanien des Hungers. Hunderte von Mädchen kamen mit knurrendem Magen und einer Zukunft im Bauch nach Barcelona. Und ich habe Arbeit für ihre Bäuche gesucht, das heißt, ich habe ihnen das Leben gerettet und wurde nebenbei zu einer der treibenden Kräfte dieses Landes. Denn dieses Land wurde mit dem Hunger aufgebaut. Ich weiß nicht, ob Sie alt genug sind, um das zu verstehen. Aber Sie sind alt genug, um zu wissen, dass es heute genauso läuft. Zwar nicht mit dem Hunger der Spanier, aber dem der Einwanderer. Wir haben den Hunger überwunden. Und es strömen Tausende von Mädchen ins Land, die nichts anderes haben als diese eine Zukunft, die ihres Bauches. Wissen Sie, die sind weit ärmer dran als meine Mädchen damals. Denn ich habe ihnen meine Zuneigung und ein vernünftiges Leben geschenkt. Ich war eine Dame.«
Während sie ihren Kopf in das Kissen sinken ließ, stammelte sie:
»Aber ich bezahle dafür.«
»Vielleicht war das alles zu Ihrer Zeit nicht so schlimm«, sagte Miralles versöhnlich, er wollte so schnell wie möglich von hier fort. »Heute mit der Mafia ist das alles viel schlimmer.«
»Das nennt man wohl Fortschritt. Niemand schafft es, alle Probleme zu beseitigen, man
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