Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman
brüllende Stadt hat am Garten des Hauses haltgemacht, das nur von einer Katze belauert wird.
»Ich vermute, du brauchst einen Unterschlupf.«
»Ja.«
»Und die Polizei?«
»In diesem Fall kann ich mich nicht auf die Polizei verlassen.«
»Mach dir keine Gedanken. Ich habe dir die Adresse gegeben, falls du mich brauchst. Es ist also in Ordnung. Ich vermute, das ist … wie hieß sie doch?«
»Meine Assistentin Eva Expósito.«
»Gehen wir in das hintere Zimmer, das ist das ehemalige Arbeitszimmer des Marqués, am Ende hat er seine Angelegenheiten von hier aus erledigt. Dort können wir in Ruhe reden.«
Das Büro, auf das das alte Spanien stolz gewesen wäre, ließ deutlich erkennen, für welche Ideale der Marqués gelebt hatte. Pfaffenmöbel, kardinalrote Tapeten, Bilder von Gala-Abenden im Liceo, von Empfängen in der Capitanía, Abende mit Bernard Hilda und seinem Orchester, mit Bischöfen, die gerade die Seele der Stadt retten, das Porträt eines Obersten, der wahrscheinlich am Ebro gefallen ist, und sogar ein Konterfei von Pius XII .
»Es ist nichts angerührt worden«, sagte Mabel. »Ich habe mal daran gedacht, die Möbel zu verkaufen, aber es lohnt sich nicht, man bekommt fast nichts dafür. Sagt mir, was los ist, und dann sehen wir weiter.«
Miralles’ Erklärung war einfach und klar.
»Es gibt einen sehr mächtigen Kerl, der sich in der Stadt versteckt hält und mich töten will, bevor ich ihn erwische. Er ist im Vorteil. Er hat Geld, und ich habe nur Erinnerungen. Vor Kurzem wäre es ihm fast gelungen, und ein Polizist namens Méndez hat mir geraten, eine Zeit lang abzutauchen. Auf das Gesetz kann ich nicht zurückgreifen, denn das kann sich jeden Moment gegen mich wenden. Ich muss nachdenken, und wenn es auch nur für ein paar Tage ist. Ich hoffe, du verstehst das und gehst dieses Risiko ein. Es ist nicht für lange.«
Mabel antwortete mit einem Lachen:
»Ich gehe kein Risiko ein.«
»Das weiß man nie, Mabel. Der Kerl, von dem ich rede, hat Geld, er hat Kontakte und kann bis hierher kommen. Du bist in Gefahr, und Eva und ich danken dir wirklich für deine Hilfe.«
»Keine Sorge, niemand wird hierherkommen oder euch ausfindig machen«, sagte Mabel leise. Und dann fügte sie hinzu: »Das ist ausgeschlossen.«
Der alte Arzt glaubte nicht an den Tod, sondern an das Leben. Oft schon hatten seine Patienten ihn darum gebeten, sterben zu dürfen, wenn sie in den Scheiben ihrer Fenster nur noch ein Gespenst erkannten. Einige, weil sie die Schmerzen nicht mehr ertragen konnten. Aber da lässt sich Abhilfe schaffen. Die heutige Palliativmedizin hat so viele Mittel, um dich in eine andere Sphäre zu befördern, dass man sie auch Medizin des Nirwana nennen könnte. Andere beriefen sich auf ihr Recht, würdig sterben zu dürfen, weil sie ihrem eigenen Verfall nicht beiwohnen wollten, weil sie ihr Leben – das vielleicht schön, intelligent und sogar von Ästhetik geprägt war – in einem Barockkonzert und nicht in einem Gully beenden wollten. Da lässt sich im Unterschied zu den Schmerzen natürlich keine Abhilfe schaffen.
Der alte Arzt hatte sich immer geweigert. Man darf den Tod nicht beschleunigen. Nicht einmal eine seiner ältesten Patientinnen, die Madame, die einzige Madame, die er kannte, hatte in dieser Frage bei ihm Erfolg gehabt. Arme Ruth, du hast so viele Mädchen vor dem Hunger bewahrt, du warst eine Pionierin der Auferstehung des Landes, denn ein Land wird nicht nur durch Firmen, Schornsteine und Arbeit aufgebaut, sondern durch die Betten, die die Umwelt nicht verschmutzen. Du hast zwar nicht unbedingt aus der Keuschheit eine Tugend gemacht, aber aus der Toleranz. Der alte Doktor, ein ehrenwerter Mann, hatte Madame Ruths Sanftheit immer bewundert, ihre Kenntnis des Landes, ihre linke Hand mitten in der Umverteilung des Reichtums. Und in seinem Inneren bewunderte er auch die Anmut, mit der sie die Korsage und die Mädchen ihrer Zeit zu verbinden verstand.
Der alte Arzt wurde seit ein paar Tagen das Gefühl nicht los, dass er beobachtet wurde. Es ist lächerlich, er hatte nie einen offenen Konflikt gesucht, noch hatte er einen schlechten Ruf, er war nicht einmal reich, aber jemand überwachte ihn. Ein Arzt hinterlässt hunderte Spuren seiner Tätigkeit. Er macht Krankenbesuche und Steuererklärungen, er veranlasst Laboruntersuchungen und schreibt Rezepte für die Krankenversicherung, was besonders dann Interesse weckt, wenn es um Drogen und Betäubungsmittel geht. Und all diese Daten
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