Der Todesbote
verurteilt wurde. Ein regelrechter Fanclub begleitete seinen 14
Monate währenden Prozess in Los Angeles. Einige der jungen Frauen trugen Notizblöcke bei sich und fassten ihre Anteilnahme in Worte, während andere frei heraus den Reiz zugaben, den Ramirez und sein unverblümter Satanismus auf sie ausübte. Eine dieser Frauen sagte gegenüber der Presse:
»Liebe ich ihn? Ja, in meiner eigenen, kindlichen Art. Ich empfinde so viel Mitleid mit ihm. Wenn ich ihn ansehe, sehe ich einen wirklich anständigen Kerl, der sein Leben verpfuscht hat, weil er niemals irgendjemanden hatte, der ihn führte.«
Zwei andere Groupies, eine davon ein Porno-Model, setzten Naktfotos von sich selbst im Bezirksgefängnis in Umlauf. Eine junge Frau bedrohte aus Eifersucht ihre Rivalin, und aus immer noch ungeklärter Ursache, den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Als Ramirez schließlich einen seiner Fans, eine Mit-Satanistin, geheiratet hatte, genoss er trotzdem die Besuche einer Geschworenen, die ihn zum Tode verurteilt hatte und verspätet zu der Überzeugung gelangt war, Ramirez habe keinen fairen Prozess bekommen.
Ein noch kurioserer Fall war der von HENRY LUCAS und PHYLLIS WILCOX. Wilcox – eine verheiratete Frau, die bis heute noch immer mit ihrem damaligen Mann zusammen wohnt – war von dem einäugigen Psychopathen Henry Lucas fasziniert und gelangte nach lange andauerndem Briefwechsel und einigen Gefängnisbesuchen zu der Überzeugung, dass Henry unschuldig sei. Sie brütete einen Plan aus, um ihn aus dem Todestrakt zu befreien. Mit einem gekauften, falschen Führerschein und einer anderen Identität präsentierte sich Wilcox gegenüber den Medien als die ehemalige Freundin Frieda Powell, von der Lucas zuvor zugegeben hatte, er hätte sie im Jahre 1983 ermordet, als sie 15 Jahre alt gewesen war.
Powells plötzliches Wiederauftauchen nach 13 Jahren garantierte Schlagzeilen, und die Polizei erfuhr bald aus zuverlässigen Quellen die Wahrheit über Phyllis Wilcox. Sie konnte zwar einer Gefängnisstrafe wegen Behinderung der Justiz entgehen, aber ihr unüberlegter Versuch, Lucas zu befreien, war vereitelt. Aber selbst wenn ihre Maskerade tatsächlich erfolgreich gewesen wäre, hätte Wilcox ihr Ziel nicht erreicht: Lucas war in zehn Mordfällen überführt, und Powells Fall war nicht derjenige gewesen, der ihn in den Todestrakt gebracht hatte.
Onoprienkos Sohn
Naturbelassene Wiesen säumen den kleinen Fluss in der Nähe der Stadt Zhitomir. Jedes Jahr sind sie den ständigen Frühjahrsüberschwemmungen ausgesetzt. Nicht nur das Klima ist rau in dieser Gegend der Ukraine. Es gilt zu überleben, und dies wird den Menschen nicht leicht gemacht. Das Wort Wpadina (Depressionen) fällt auffällig oft im Alltag der hier Lebenden. In Wpadina verfällt auch Irina, die Mutter des einzigen Kindes von Anatolij Onoprienko, wenn sie an die Zukunft ihres Sohnes denkt.
Er ist seinem Vater Anatolij Onoprienko wie aus dem Gesicht geschnitten. Die selben Augen, die rotblonden Haare, das etwas rötliche Gesicht. Mit seinen 13 Jahren macht er den Eindruck des freundlichen, aufgeweckten Jungen von nebenan.
Das war er auch, bis vor einigen Monaten.
Dimitrij, der nette Junge, lebt seit Jahren bei einer Pflegemutter in einer kleinen Stadt in der Ukraine, achthundert Kilometer entfernt von der Todeszelle, in der sein Vater einsitzt. Seine Eltern Irina und Anatolij Onoprienko fuhren zur See. Der Vater ist heute stolz darauf, dass sein Sohn auf dem legendären Vergnügungsdampfer Maxim Gorkij gezeugt wurde, dem Schiff, das einst das Aushängeschild für den gehobenen Tourismus der stolzen Sowjetunion war. Anatolij Onoprienko und seine Exfrau Irina hatten sich auf diesem Schiff kennen und lieben gelernt. Noch vor der Geburt ihres Kindes heirateten sie. Doch auf hoher See kann man keine Kinder erziehen. So beschlossen beide, den Sohn zu einer Pflegemutter zu geben.
Nach vier Jahren trennte sich das Paar und ließ sich scheiden. Die Mutter und ihr Sohn Dimitrij nahmen ihren Mädchennamen an, so erfuhr dieses Kind nie den eigentlichen Familiennamen Onoprienko. Das Kleinkind genoss die Wärme und Fürsorge der Pflegemutter. Oft wochenlang auf hoher See, war es den beiden Elternteilen nicht möglich, ihr Kind zu besuchen.
Nach der Trennung des Paares wurden auch die Besuche der Mutter immer seltener. Der Vater zog indes durch ganz Europa. Zu seinem Sohn hatte er keine Verbindung mehr.
Die Pflegemutter, heute etwa 55 Jahre alt, umsorgt den Jungen, als
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