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Der Todesbote

Der Todesbote

Titel: Der Todesbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaques Buval
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wäre es ihr eigenes Kind. Sie lässt ihm alle Liebe zukommen, die sie zu geben vermag. Tag und Nacht, Jahr für Jahr ist sie für ihn da. Sie sitzt nächtelang vor dem kleinen Bett, wenn das Kind krank ist oder einfach nur nicht einschlafen kann. Aufopfernd sorgt sie sich um das Wohl des kleinen Jungen.
    »Dimitrij fragt oft nach seinem Papa und seiner Mama. Doch der Vater lässt sich seit der Scheidung nicht mehr blicken. Und seine Mutter kommt sehr selten. Dann bringt sie ihm ein paar Geschenke mit. Das ist alles, was das Kind von seinen Eltern erhält. Dabei brauchte es die Liebe und Geborgenheit einer Familie. Ich will nicht klagen, aber manchmal schaffe ich es einfach nicht mehr.«
    Doch sie hat es geschafft, dem Jungen eine unbeschwerte Kindheit zu schenken. Oft drücken die Sorgen um das tägliche Brot schwer.
    »Aber wer hat es schon leicht in diesem armseligen Teil der Erde. Ich will nicht klagen, denn das Kind schenkte mir viel Liebe. Und das ließ alles vergessen«, erinnert sich die Frau.
    Jahre später spürt sie eine Veränderung im Wesen des Jungen.
    »Manches Mal ist er schon schwierig, aber das ist halt das Alter«, erzählt sie ihren Nachbarinnen zu seinem 12.
    Geburtstag.
    Viele Kinderpsychologen und Psychiater sind sich einig, dass Kinder, die bei fremden Menschen aufwachsen, nur einen Wunsch haben, den Wunsch nach Liebe von ihren Eltern. Sie suchen nach dem engen Band zwischen Mutter und Kind, das die Natur vorgegeben hat. Diesen Kindern fehlt das innere Band der Verbundenheit, die Festigkeit einer Familie. Allzu oft entwickeln sie im Laufe der Zeit desorientierte Bindungen zu den Pflegemüttern.
    So weist einer der bedeutendsten Kriminalisten der USA, Robert K. Ressler, in einer Studie über vernachlässigte Kinder, die zu Mördern wurden, darauf hin: »Beim familiären Umfeld von Gewaltverbrechern fehlt es aber gerade an entscheidenden Stellen: Kindheit, Vorpubertät (8.-12. Lebensjahr, dort fehlt den meisten Tätern ein Vater, weil er starb, ins Gefängnis kam oder die Eltern sich scheiden ließen), sonstige Identifikationsfiguren in der Pubertät wie zum Beispiel Großeltern (viele der Täter kamen in dieser Phase in Heime oder Gefängnisse, hauptsächlich wegen Brandstiftung), Freundinnen oder Lebenspartner (die meisten Täter sind zu keiner festen Freundschaft fähig). Viele Menschen mit ähnlichen Kindheitserlebnissen überstehen diese Phasen (…), ohne zum Mörder zu werden.
    Wenn jedoch alles zusammenkommt – eine abweisende Mutter, das Fehlen des Vaters, oder Missbrauch durch Vater oder ältere Geschwister, Versagen des Schulsystems, Ineffizienz der Behörden und die gleichzeitige Unfähigkeit des Kindes zu einer normalen sexuellen Entwicklung – dann ist der Weg zum abweichenden Verhalten praktisch schon vorgegeben.«
    Der Alltag von Dimitrij scheint völlig normal zu verlaufen, bis man seinen Vater verhaftet und auf den Titelseiten sämtlicher Zeitungen über ihn berichtet. Er sei der »größte Serienmörder in der Geschichte der Ukraine«, heißt es da. Erst jetzt erfährt der Junge, wer sein leiblicher Vater wirklich ist.
    Obwohl Onoprienko nie über seinen Sohn sprach – er gab nur an, ein Kind auf dem berühmten Schiff gezeugt zu haben –
    fand man den Aufenthaltsort des Jungen heraus. Man suchte nach einer aufsehen erregenden Story und fand einen völlig verstörten Jungen. Fast täglich sieht er im Fernsehen einen Mann, der sein Vater ist, den er nicht kennt und der doch sein ganzes junges Leben verändern sollte.
    Natürlich bleibt auch den Kindern des Dorfes nicht verborgen, wer der Vater des Jungen ist. Dimitrij spürt die Blicke und Gedanken seiner früheren Spielkameraden. Er bemerkt, dass man ihm aus dem Weg geht, und er fühlt die ablehnenden Blicke der Erwachsenen, die wie Nadeln in sein Gemüt dringen.
    Fast täglich kann dieser Junge seinen Vater im Fernsehen sehen, dessen Hand und Liebe er früher so gerne verspürt hätte.
    In seinem Alter kann er verstehen, wovon sein Vater spricht. Er spricht davon, dass er unzählige Menschen getötet hat. Viele davon waren noch Kinder. Dimitrij muss die grauenhaften Bilder ertragen, die das Fernsehen ausstrahlt. Er sieht Leiber in ihrem eigen Blut, die zerstückelt und grauenhaft entstellt wurden. Und immer wieder wird das Bild des Täters, seines Vaters, eingeblendet.
    Was mag in dem Gehirn dieses Jungen vorgehen? Niemand vermag es zu ergründen. Selbst seine Pflegemutter nicht. Sie stellt nur eines fest: »Seit der Junge

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