Der Todesbote
kann.«
Anna Kosak erinnert sich mit Schaudern daran, wie man
»ihren« Anatolij in ihrer Wohnung verhaftete: »Er hat mich noch einmal zärtlich in die Arme genommen und sagte zu mir
– wohl um mich zu beruhigen: ›Keine Angst, mein Liebling, es wird alles wieder gut. Du wirst sehen, in Kürze bin ich wieder zu Hause bei dir und den Kindern, und wir werden sehr schnell alles wieder vergessen.‹«
Die Erinnerungen an diesen Tag holen Anna Kosak immer wieder ein. Wenn sie sein Bild auf dem Schrank im Wohnzimmer betrachtet, werden all die Träume wieder neu aufgerollt. Jahre sind in der Zwischenzeit vergangen, und doch lässt sie dieser Mann nicht los.
Als man Anatolij Onoprienko im Gefängnis auf seine Liebe zu seiner Verlobten anspricht, antwortet er nur mürrisch: »Es gefiel mir sehr, von ihr geliebt zu werden. Doch das ist die Vergangenheit. Ich muss nach vorne blicken, auf meine Zukunft, und da ist kein Platz für Erinnerungen.«
Man kann nur hoffen, dass diese liebenswerte Frau nie aus ihren Träumen gerissen wird über diesen Mann, den sie noch heute verehrt, und dass sie niemals erfährt, wie er ihre Liebe mit Füßen tritt. Mit keinem Wort sucht er nach einer Entschuldigung oder Erklärung. Nie hat er gesagt, dass es ihm Leid tut, was er dieser Familie angetan hat. Diese Frau muss täglich die hämischen Blicke der Nachbarn ertragen. Ständig wird sie konfrontiert mit dem Unverständnis der Menschen, die nicht verstehen können und wollen, dass dieses Schicksal jeder Frau widerfahren kann. Unschuldig muss sie alles ertragen, nur weil sie diesen Mann, der sich als Ungeheuer entpuppte, geliebt hat.
Man glaubt dieser Frau und ihren Kindern, dass Onoprienko nie von seinem mörderischen Handwerk erzählte. Kaltblütig und unberechenbar war er nur gegen Fremde. Niemandem gelang es, in sein ungewöhnliches Seelenleben einzudringen.
Nicht einmal heute verliert sie auch nur ein böses Wort über ihn. Sie will nicht darüber sprechen, welch ungeheuerliche Taten man ihm vorwirft. Sie hat ihn geliebt, und sie wird ihn nie vergessen.
Anatolij Onoprienko hat seine eigene Theorie vom Vergessen. Er will nicht daran erinnert werden, was er dieser kleinen Familie angetan hat. Es interessiert ihn nicht, was es für diese Frau bedeutet, aus der Gemeinschaft ausgegrenzt zu sein, nur aufgrund seiner Taten.
Er philosophiert in seiner Zelle, gibt sich als Gelehrter, als Genie des Bösen, um von seinen Taten abzulenken. Er denkt nur an sich und will offensichtlich, wie die meisten Serienmörder vor ihm, in die Geschichte eingehen.
Als man ihn fragt, wie er über all die Frauen denkt, mit denen er zusammen war, hat er nur eine kurze Antwort parat:
»Über dieses Thema spreche ich nicht gerne, da es nichts mit meiner Mission hier auf dieser Erde zu tun hat. Das ist alles Vergangenheit. Es ist nichts, worauf ich heute stolz sein könnte. Meine Aufgabe liegt nun auf einer ganz anderen Wellenlänge. Da ist kein Platz, um an Liebe zu denken.«
Wie Frauen zu behandeln sind, erklärt Onoprienko jedoch gerne. Die Erklärung ist menschenverachtend wie seine Taten.
Seine Stimme klingt hart und schneidend, wenn er auf diese Frage antwortet: »Bei allen Frauen habe ich mit zärtlicher Hypnose gearbeitet. Es gibt im Kosmos den Begriff vom vollkommen zärtlichen Menschen … Man kann Frauen nur rumkriegen, wenn man vollkommen zärtlich ist. So hätte zum Beispiel Anna für mich getötet, wenn ich es nur gewollt hätte.
Sie war kurz davor. Und außerdem muss man Frauen mit Wissen und Bildung beeindrucken. Dann bekommt man alles, was man will.«
Über die Frauen, denen Onoprienko auf seinen Reisen quer durch Europa begegnet ist, war nicht viel in Erfahrung zu bringen. Er selbst will darüber nicht sprechen: »Diese Begegnungen waren zu lapidar für mich. Ohne Bedeutung für die Vergangenheit und vor allem für meine Zukunft. Ich bin zu Höherem geboren als für die Liebe zwischen zwei Menschen.
Meine Interessen liegen auf einer ganz anderen Ebene, auf einem für die meisten Menschen unverständlichen geistigen Niveau.«
Eine Hamburger Geschäftsfrau sieht dies sicher anders.
Auch sie hatte Onoprienko während seiner zahlreichen Aufenthalte in Deutschland kennen und lieben gelernt.
Stundenlang weiß sie über diese Zeit »des Glückes mit diesem bewundernswerten Mann« zu berichten. Noch heute träumt sie von »seiner Zärtlichkeit«, seiner »unglaublichen, nie wieder erlebten Ausstrahlung«. Wenn sie in ihren Erinnerungen an
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