Der Todesbote
Onoprienkos bleibt ohne Antwort. Der Richter fragt ihn: »Haben Sie getrunken, als Sie die Menschen töteten?«
»Nein«, antwortet der Angeklagte bestimmt, »ich wollte schließlich einen klaren Kopf bei dem haben, was ich tat.«
Über Monate zieht sich diese Hauptverhandlung hin. Nahezu 400 Zeugen werden gehört. Aufgrund der enormen Reisekosten für die zu ladenden Zeugen vergingen zweieinhalb Jahre, bis der Prozess eröffnet werden konnte. Das Gericht konnte die enormen Kosten dafür nicht aufbringen. Erst eine Spendenaktion des Fernsehens machte den Prozessbeginn möglich.
Der Vorsitzende Richter gibt vor laufender Kamera ein Interview. Dabei zeigt er den Journalisten die Tatwerkzeuge, die man sichergestellt hat. Aus Plastiktüten nimmt er ein riesiges Messer, einen Hammer, eine Pistole und ein abgesägtes Gewehr, dessen Griff mit gelben Plastikklebebändern überzogen ist. Dieses Gewehr ist die Tatwaffe, die Onoprienko am häufigsten benutzte. Der Vorsitzende Richter nimmt das Gewehr in die Hand und demonstriert, wie es funktioniert. Er öffnet den Verschluss, sodass die Patronenkammern sichtbar werden: »Hier steckt man die Munition hinein. Da ist der Abzug.
Alles relativ einfach zu bedienen. Nicht einmal präzise zielen muss man dabei. Er hat schließlich aus der Höhe des linken Oberschenkels geschossen. Einen Menschen trifft es auf jeden Fall, egal aus welcher Entfernung man damit schießt.
Weil der Gewehrlauf abgesägt ist, entsteht bei kleiner Entfernung ein kleines Loch; je weiter die Kugel fliegt, umso größer werden die Wunden der Getroffenen.«
In einem anderen Interview beschreibt er den Täter: »Sein Hauptmotiv ist Habgier. Natürlich gab es daneben auch andere Motive. Zum Beispiel wollte er ein Auto stehlen. Um sich das Klauen zu erleichtern, hat er alle Insassen umgebracht. Dann merkt er plötzlich, das eine Frau vorbeikommt. Sie könnte ihn als Zeugin identifizieren und der Polizei sein genaues Profil beschreiben. Dann würde man ihn am nächsten Tag ganz einfach fassen können. Nun tötet er die arme Frau auch. Das Motiv dabei: ein vorheriges Verbrechen zu verdecken. Aber gleich nach dem Mord an dieser Frau bemerkt er, dass sie eine Tasche dabei hat. Er nimmt die Tasche an sich. Habgier war sein vorherrschendes Motiv.«
Das Gutachten
Selten blickt der Angeklagte auf. Er wirkt gelangweilt, als die vielen Zeugen zur Sache vernommen werden. Doch als der Gutachter der Psychiatrie, der Psychiater Andrej Zubera, in den Zeugenstand tritt, ist der Angeklagte hellwach. Aufmerksam und äußerst kritisch verfolgt er dessen Ausführungen.
Vor ihm steht der Psychologe, der sich seit der Verhaftung Onoprienkos mit dessen Psyche auseinander zu setzten hatte.
In unzähligen, auch auf Video mitgeschnittenen Gesprächen und Sitzungen versuchte er die Psyche dieses Menschen zu ergründen.
In seinem grauen Sakko mit schwarzem Hemd und silberfarbener Krawatte macht dieser circa 45-jährige Psychiater einen äußerst seriösen Eindruck. Anatolij Onoprienko würdigt er keines Blickes. Sein Blick drückt Verachtung aus, wenn er über die Seele dieses Menschen spricht. Onoprienko kann sie förmlich spüren, die Gedanken dieses Mannes.
Sichtlich nervös versucht er seine Meinung über die Psyche dieses Serienkillers darzustellen. Er berichtet, dass die Sitzungen mit Onoprienko sich über unzählige Tage hinzogen.
Er erwähnt, dass sein Klient wohl in die Kategorie der psychopathischen Sadisten einzuordnen sei, aber er seine Taten in vollem geistigen Bewusstsein ausgeführt habe.
Er spielt dem Gericht ein Video von einer dieser Sitzungen vor. Von mehreren Beamten bewacht, gibt sich Onoprienko kurz nach seiner Verhaftung mehr als selbstsicher. Er erzählt dem Psychiater freimütig: »Als ich eine Frau erschlagen habe und sie war sicher tot, habe ich sie benutzt. Ich habe dabei genauso eine Selbstanalyse gemacht wie jetzt in diesem Gespräch. Das war sehr außergewöhnlich, wenn ich daran zurückdenke. Ich war nicht betrunken, ich war ganz o.k. im Kopf. Ich bin ein Mensch, ja sogar ein Supermensch, habe ich dabei gedacht. Ich habe mich dabei selbst von der Seite beobachtet und fand es ganz interessant, wirklich außergewöhnlich.«
Der Psychiater erzählt: »Der Angeklagte behauptete, er habe sich mit Adolf Hitler getroffen. Und Hitler hätte ihm vorgeschlagen, den Dritten Weltkrieg zu beginnen. Ich sagte ihm, er würde wohl ein wenig übertreiben.
Aber er meinte, sie hätten sich im Universum getroffen.
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