Der Todesbote
ärgerte mich am meisten.‹«
Der Lkw-Fahrer Iwan Bakanetz zwinkert mit dem Auge und sagt zum Abschied: »Glauben Sie mir, an einem Weihnachtsfeiertag werde ich nie mehr eine Fuhre annehmen. Ich werde jedes Jahr meine Wiedergeburt feiern.«
Der 39-Jährige konnte Anatolij Onoprienko entkommen. 52
andere Menschen, darunter zwölf Kinder, hatten nicht so viel Glück.
Die Gerichtsverhandlung
Es ist der 23.11.1998, als man den 39-jährigen Gefangenen Anatolij Onoprienko in einem der weißgrünen Transportwagen für Gefangene zum Gericht bringt. Zwei Zellen befinden sich in dem rückwärtigen Teil des Wagens, die jeweils für mehrere Häftlinge gebaut und auch genutzt werden. Doch an diesem Tag befördert der Transporter nur einen Gefangenen. Der Häftling sitzt stets mit Handschellen gesichert, so auch in dieser Zelle. Man will kein Risiko eingehen.
Im Hof des Gerichtsgebäudes entsteigt Onoprienko dem Transporter und wird von sechs kräftigen Polizisten in Empfang genommen. Er wird an einen der Beamten zusätzlich angekettet. Man will jede Fluchtmöglichkeit verhindern.
Langsam steigt die Gruppe die wenigen Treppen zum Gebäudeeingang empor.
Für diesen Prozess stellt der Staatspräsident der Ukraine Leonid Kutschma mehr als 30.000 US-Dollar zur Verfügung.
Dazu sind mindestens acht Soldaten für die direkte Bewachung und eine nicht näher bekannte Anzahl von Soldaten für die Absicherung des Gerichtsgebäudes und des Fahrweges nötig.
Onoprienko sollte keine Möglichkeit bekommen, sich seiner gerechten Strafe zu entziehen.
Anatolij Onoprienko ist auf der Fahrt zum Gericht gut gelaunt. Ein Journalist, der ihn begleiten darf, wundert sich nicht schlecht, als Onoprienko plötzlich zu sprechen beginnt.
Die holprige Landstraße auf dem Weg zur Stadt kann er nicht sehen. Auf der harten Sitzbank in der Autozelle wird er hin-und hergeschüttelt. Onoprienko, der wie immer eine bunte Strickmütze auf dem Kopf trägt, genießt diesen Ausflug ganz offensichtlich. Er, der sich über seine Taten meist ausschwieg und nur äußerst selten darüber sprach, erklärt während dieses Transports den Journalisten: »Ich bereue gar nichts. Ich habe mein ganzes Leben in einem Spielfilm gespielt. Auch vor Gericht spiele ich meine Rolle. Schließlich habe ich es geschafft und bin jetzt mitten drin in einem Film. Ich wollte schon immer ein berühmter Schauspieler werden.«
Einer der wahrscheinlich schlimmsten Serienmörder der Geschichte wird zum Movie Star. Mit seiner bunten Wollmütze, seiner bunten Strickjacke und seiner gestreiften Trainingshose fühlt er sich beachtet wie nie zuvor in seinem Leben. Er sonnt sich im Blitzlicht-Gewitter der Fotografen und sucht förmlich nach einer Selbstbestätigung.
Onoprienko fühlt sich auf einen Sockel gehoben, einer Statue gleich, wie ein dämonischer Gott. Nachdenklich, sinnlich gibt er sich. Offensichtlich glaubt er über den Dingen zu stehen. Die verachtenden Blicke seiner Bewacher will er nicht sehen. Er sieht sich als Hauptdarsteller in einem Horrorstreifen, als Selbstdarsteller ohne Happy End.
Er versucht Antworten zu geben, die seine Zuhörer beeindrucken sollen, die aber doch seine Intelligenz übersteigen.
Wie er später einmal berichtet, hat er zu seiner Seefahrerzeit sehr viel gelesen. Manches davon versucht er scheinbar in seine wirren Gedanken einzuflechten.
Über Seitengänge bringt man Onoprienko zum Gerichtssaal.
Auf seinem Weg hat man einen Sicherheitskorridor gebildet, man will eine Flucht unmöglich machen.
160 Kilometer östlich von Kiew, vor dem Obersten Gericht in Zhitomir, wird der Fall Onoprienko verhandelt. Auf einem modern angelegten Platz steht der ehrfürchtig wirkende Justizpalast der Stadt, eine ehemalige Parteizentrale. Sechs riesige Steinsäulen, die bis zum 4. Stock des Gebäudes reichen, bilden den äußeren imposanten Rahmen für ein modernes und äußerst gepflegtes Gebäude.
Inzwischen stehen die Menschen Schlange vor dem großen Eingang. Man hatte an diesem Tag bis zum Eintreffen des Gefangenen alle Zugänge verschlossen. Erst jetzt gewährt man den Wartenden Einlass. Es sind vor allem alte Frauen mit ihren abgewetzten Pelzmützen, die um Einlass bitten. Schon am Eingang geben sie ihre Meinung kund: »Der Kopf gehört ihm abgeschnitten, diesem Monster.«
Plötzlich herrscht Aufregung in diesem ehrwürdigem Haus.
Ein gellender Schrei hallt durch die langen Flure des Gerichtsgebäudes. Nur noch wenige Meter trennen eine aufgewühlte Frau von dem
Weitere Kostenlose Bücher