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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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liege im Sterben«, mutmaßte Pater Angelico grimmig. »Ich konnte es ja selbst kaum glauben, als er mir bei unserem kurzen nächtlichen Zusammentreffen vor San Marco davon berichtete. Wären wir beide doch nur ein wenig misstrauischer gewesen! Ich wette, dem Gelehrten geht es so gut, wie man es seit Tagen gehört hat, und er befindet sich weiterhin auf dem besten Weg zur vollständigen Genesung!«
    »Natürlich, so muss es gewesen sein, Meister! Was für eine ebenso hinterhältige wie raffinierte Täuschung, um Pater Nicodemo in die Falle zu locken!«, sagte Bruder Bartolo voller Abscheu, trank einen Schluck Wein und tunkte ein Stück Brot in das Thymianöl auf dem bunten Steingutteller. »Nur, warum das alles?«
    Pater Angelico kam nicht dazu, weitere Mutmaßungen anzustellen, denn in dem Moment glitt ein langer, keilförmiger Schatten von hinten zwischen sie und legte sich über den Tisch. Er war zu lang und entschieden zu schmal, um auch nur annähernd Botticellos Silhouette zu entsprechen.

16
    P ater Angelico wandte den Kopf und schluckte, als er sah, wessen Schatten hier unvermittelt über sie gefallen war.
    Auch Bruder Bartolo zeigte sich beim Anblick des Mannes in höchstem Maße überrascht, nur setzte er nach der ersten Verblüffung unverzüglich eine missbilligende, ja feindselige Miene auf.
    Der Schatten gehörte einem schlanken, hochgewachsenen Mann von achtundvierzig Jahren. Seine markanten, wohlproportionierten Züge hätten jedem Aristokraten zur Ehre gereicht und wären bestens geeignet gewesen, einem Bildhauer oder Maler als Modell für das Haupt eines römischen Konsuls oder Imperators zu dienen. Die elegante Kleidung aus nachtschwarzem Samt, aus dem sowohl sein Wams als auch der faltenreiche Umhang gearbeitet waren, tat ein Übriges dazu, ihm das Aussehen eines Mannes von nobler Herkunft zu verleihen.
    Wären da nicht … ja, wären das nicht das Vlies seines mit Grau durchzogenen brustlangen Bartes und die langen schwarzen Korkenzieherlocken gewesen, die ihm an den Schläfen herabbaumelten. Und wäre da – vor allem – nicht der hässliche gelbe Stoffstern gewesen, der vorn an seinem Spitzhut prangte, dieses erniedrigende Zeichen menschlichen Makels, das jeder Jude in der Öffentlichkeit sichtbar tragen musste, Männer an der Kopfbedeckung, Frauen am Kleid. So verlangte es das Gesetz, das Cosimo de’ Medici in seiner Regierungszeit erlassen hatte und das kein Jude zu brechen wagte. Denn sowenig man einerseits auf die lukrativen Geschäfte mit den Hebräern verzichten wollte, sowenig wollte man andererseits davon abrücken, sie in der Öffentlichkeit als das Volk der Jesusmörder zu brandmarken.
    »Friede deinem Haus, mein uneinsichtiger Bruder in Christo«, begrüßte Pater Angelico den Neuankömmling, und Bruder Bartolo klappte buchstäblich die Kinnlade herunter, als er sah, dass sein Meister den Mann auch noch mit dem christlichen Segenszeichen bedachte.
    » Schalom, mein irregeleiteter Freund«, erwiderte Gershom Jezek, der Pfandleiher, nach kurzem Zögern den Gruß und blieb damit dem von gutmütigem Spott getragenen Ritual, dem ihre Begrüßung seit Jahren folgte, treu.
    Der Novize schnappte hörbar nach Luft. Empörung flammte in seinen Augen auf, und es schien, als schreie er mit jeder Faser seines Körpers: »Blasphemie!«
    Pater Angelico legte ihm eine Hand auf den Arm und übte unmissverständlich Druck aus. »Kaum etwas in der Welt ist das, was es zu sein scheint, Bruder Bartolo!«, beschied er ihn. »Haben wir das nicht gerade erst wieder festgestellt?«
    »Ja, schon, Meister, aber …«
    »Also hüte dich vor vorschnellen Urteilen!«, schnitt Pater Angelico ihm das Wort ab. »Man muss schon mit einem anderen Menschen ein ganzes Fass Salz gegessen haben – und das dauert seine Zeit –, um ein Urteil über ihn abgeben zu können!«
    Der Novize senkte betreten den Blick. Dass sein Meister mit einem Juden so freundschaftlich, ja wie mit einem Gleichberechtigten, verkehrte, musste er erst einmal begreifen.
    »Mir scheint, ich komme ungelegen, Pater. Vielleicht sollte ich es später noch einmal versuchen. Die Angelegenheit, die mich zu Euch bringt, hat keine Eile«, sagte Gershom Jezek, der insgeheim schon bereute, sich in Gegenwart des Novizen nicht mehr Zurückhaltung auferlegt zu haben.
    »Unsinn, Gershom!«, widersprach der Malermönch energisch und wedelte mit der Hand. »Teufel auch, Ihr kommt ganz und gar nicht ungelegen, zumal ich ein Hühnchen mit Euch zu rupfen habe.

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