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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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und rollte die Augen, als der Rotwein nach dem zweiten Sturzbach die Kehle hinunter im Magen seine feurige Wirkung entfaltete und ihm das Blut in den Kopf trieb. Von Morgenfrische merkte er nichts mehr.
    Ein spöttisches Lächeln huschte über Pater Angelicos Gesicht, dann kehrte der finstere Ausdruck auch schon zurück. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er hinunter auf den Arno, dessen schlammige Fluten sich durch das breite Flussbett wälzten und die Brückenpfeiler umgurgelten. »Absurd!«, stieß er schließlich hervor und knallte den leeren Steingutbecher wütend auf die rauen Tischbohlen. »Geradezu lächerlich absurd!«
    »Ich kann auch immer noch nicht glauben, was ich da … da gerade gesehen und gehört habe, Meister«, sagte Bruder Bartolo, in zweifacher Hinsicht aufgewühlt. »Der Tod ist mir wahrlich nicht fremd, aber etwas so Abscheuliches und Ungeheuerliches ist mir noch nie unter die Augen gekommen.«
    »Ungeheuerlich in jeder Beziehung! Die groteske Verleumdung von Pater Nicodemo übertrifft die Schändung seiner Leiche noch an satanischer Bösartigkeit«, ereiferte sich Pater Angelico.
    Der Novize nickte. »Ihr sagt es, Meister. Aber um die Tat eines Geistesgestörten handelt es sich gewiss nicht.«
    »Und wieso nicht? Was macht dich da so sicher?«
    »Die Tatzeit, Meister.«
    Pater Angelico furchte die Stirn, erwiderte jedoch nichts. Denn in dem Moment kam Botticello zu ihnen an den Tisch. Er brachte einen großen Teller mit Pane sardo, hauchdünnen, knusprigen Brotfladen mit Olivenöl und Thymian. Seufzend und mit sorgenvoller Miene stellte er den Teller vor sie hin. Er wartete ein paar Sekunden, ob der Malermönch nicht vielleicht doch die Absicht hatte, ihn ins Vertrauen zu ziehen, und kehrte schließlich, als dieser beharrlich schwieg und nicht einmal seinen Blick erwiderte, mit einem weiteren schweren Seufzer in den Schankraum zurück.
    »Wieso spricht die Tatzeit dagegen, dass ein Verrückter den Mord begangen hat?«, fragte Pater Angelico, nahm sich einen Brotfladen und biss hinein. Er ahnte schon, was seinem Novizen durch den Kopf ging, und bei Licht betrachtet lag es ja förmlich auf der Hand.
    »Keiner, der sie hier oben nicht alle zusammenhat«, der Novize tippte sich gegen die Stirn, »ist in der Lage, sich eine solche Greueltat auszudenken – wenn man einmal davon absieht, dass jemand, der so etwas tut, auf seine Art auch geistesgestört sein muss. Aber das gilt wohl für jeden, der derart ruchlose Verbrechen begeht und damit die Geschäfte des Teufels betreibt.«
    Pater Angelico nickte und schob ihm den Teller mit den knusprigen Brotfladen nach sardinischer Schäferart hin. Außerdem füllte er ihre Becher wieder auf, wenn auch nur zur Hälfte. »Weiter!«
    Bruder Bartolo nahm sich einen Fladen, biss herzhaft hinein und fuhr kauend fort: »Es dürfte außer Frage stehen, dass der Mörder nicht nur seine Bluttat, sondern auch die Schändung der Leiche genau geplant hat. Er hat diese merkwürdige Tarotkarte und den langen Nagel mitgebracht, und er wusste genau, wo er sein Opfer ungestört … äh, entmannen und ihm die Zeichen in den Körper ritzen konnte. All das hat Zeit gekostet. Und es gibt nicht an jeder Straßenecke einen Ort, der für ein derartiges Verbrechen so geeignet ist wie die Brandruine in der Via Sant’Anna.«
    »Womit denn auch ausgeschlossen ist, dass es sich um einen Mord im Affekt handelt«, sagte Pater Angelico, überaus angetan von der Klarsichtigkeit und dem logischen Denken seines Novizen. Bruder Bartolo mochte zwar einen empfindlichen Magen haben, wenn es ans Beschauen verstümmelter Leichen ging, aber sein Denkvermögen war – gottlob – von umso robusterer Natur. »Was wiederum geradezu zwingend die nächste Schlussfolgerung nach sich zieht. Nämlich, dass der Mörder auf die Stunde genau gewusst haben muss, wann Pater Nicodemo letzte Nacht das Kloster verlassen und welchen Weg er einschlagen würde.«
    Bruder Bartolo stutzte, hielt im Kauen inne und schaute irritiert drein. »Richtig! Aber dann … dann müsste er ja auch gewusst haben, dass Ser Aurelio im Sterben liegt und man Pater Nicodemo in der Nacht ins Haus der Rovantini rufen würde. Aber woher soll er davon mitten in der Nacht Kenntnis gehabt haben? Wie, in Gottes heiligem Namen, kann das sein, Meister?«
    »Indem der Mörder selbst einen Boten mit der falschen Nachricht zu uns ins Kloster geschickt und Pater Nicodemo glauben gemacht hat, Ser Aurelio habe einen bösen Rückfall erlitten und

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