Der Todesengel von Florenz
Außerdem wollte Bruder Bartolo sowieso gerade gehen.«
Der starrte seinen Meister entgeistert an.
»Was ist, Bartolo? Was sitzt du hier noch herum und gaffst mich an, als wäre dir plötzlich das Gehirn abhandengekommen? Nun beweg dich! Erkundige dich, ob es sich so verhält, wie ich vermute. Den Weg zum Haus der Rovantini in der Via di Mezzo wirst du ja wohl auch ohne mich finden, oder?«
Nun dämmerte Bruder Bartolo, wovon sein Meister sprach, und er nickte hastig. Mit einem bekümmerten Blick, der dem Weinkrug und den köstlichen Brotfladen galt, erhob er sich.
»Und lass dir Zeit!«, rief Pater Angelico ihm nach. »So schnell ist mit dem Boten aus dem Bargello nicht zu rechnen.«
»Wie Ihr wünscht, Meister«, gab Bruder Bartolo pflichtschuldig zurück und verschwand im Schankraum der Trattoria.
»Rovantini? Bote aus dem Bargello? Was um alles in der Welt treibt Euch denn heute um?«, wunderte sich Gershom Jezek und setzte sich seinem Freund gegenüber. Doch er gab Pater Angelico keine Gelegenheit, seine Fragen zu beantworten, sondern wechselte sofort das Thema und fuhr mit um Nachsicht bittender Miene fort: »Aber lasst uns erst einmal die dumme Sache von gestern Nacht aus der Welt schaffen. Und bevor Ihr anfangt, mir wegen meiner Eigenmächtigkeit Vorwürfe zu machen und mich des Vertrauensbruchs oder gar übler Täuschung zu bezichtigen, räume ich aus freien Stücken ein, dass es nicht richtig war, was ich getan habe, sondern anmaßend. Wenngleich es nur aus Sorge um Euer Wohlergehen geschehen ist.«
»So«, knurrte Pater Angelico.
Gershom Jezek setzte eine bedauernde Miene auf. »Ich hätte den unbequemen Weg nehmen und versuchen sollen, es Euch auszureden. Auch auf die Gefahr hin, dass Ihr kein Einsehen habt. Den ernsthaften Versuch wäre ich Euch schon um unserer Freundschaft willen schuldig gewesen. Verzeiht, dass ich ihn unterlassen und mich wie eine … nun ja, anmaßende Amme benommen habe!«
»Ich sehe, dass Eure Frau mir zuvorgekommen ist und Euch hat wissen lassen, was eigentlich ich Euch hatte sagen wollen«, erwiderte Pater Angelico ganz ohne Verstimmung oder gar Zorn. Der Groll, der letzte Nacht in ihm rumort hatte, war längst verraucht. Ja, mittlerweile war er Gershom insgeheim sogar dankbar dafür, dass er ihn getäuscht und ihm kein Opium gegeben hatte. Er wusste nur zu gut um die Gefahren, die auf ihn lauerten, sollte er der Sucht wieder verfallen. Aber dass er für richtig hielt, was sein Freund getan hatte, wollte er so deutlich doch lieber nicht bekunden. »Und damit ist gesagt, was es dazu zu sagen gab, Gershom. Halten wir uns damit nicht weiter auf. Siebenmal fällt selbst der Gerechte …«
Der Hebräer war sichtlich erleichtert. »… und siebenmal steht er wieder auf«, führte er den Vers aus dem Buch der Sprichwörter Salomos zu Ende.
Unaufgefordert brachte Botticello einen Becher für den jüdischen Pfandleiher. Dass der Malermönch sich mit ihm zusammensetzte, war für ihn ein längst vertrautes Bild.
Pater Angelico griff zum Krug. »Hier, nehmt einen Schluck. Und dann sagt mir, woher Ihr gewusst habt, dass Ihr mich hier antrefft?«
»Wie der Zufall es wollte, hatte ich heute Morgen auf dem Borgo Santissimi Apostoli zu tun. Da habe ich gesehen, wie Ihr mit Eurem Novizen im Giardino verschwunden seid. Ich wäre Euch sogleich gefolgt, um mit Euch über die Verhandlungen mit dem Getreidehändler Federigo Brunaccio zu reden, bin dann aber auf dem Borgo noch ein paar Minuten von einem Glaubensbruder aufgehalten worden.«
Erwartungsvoll sah der Dominikaner ihn an. »Ist unser sensale mit dem störrischen Kerl über den Preis für seinen Sklaven Cione handelseinig geworden? Können wir den Mann nun endlich freikaufen?«
Er verabscheute die Sklaverei, die in Italien seit der ersten fürchterlichen Pestepidemie im Jahre 1347 wieder eingeführt und vom Gesetz erlaubt worden war, aus tiefster Seele. Doch was ihn noch viel mehr empörte, war, dass die Kirche ihren Segen dazu gegeben hatte – mit dem Argument, dass es sich angeblich ja um seelenlose Heiden handele, die aufgrund ihrer Ungläubigkeit kein besseres Los verdienten. Und diese vermeintlichen Heiden blieben, selbst wenn sie sich in der Sklaverei zum christlichen Glauben bekehrten, dennoch das Eigentum ihrer Besitzer. Die Freiheit konnte sich ein Sklave nur erkaufen, vorausgesetzt, er hatte die Möglichkeit, etwas Geld für sich zu verdienen, und einen Herrn, der sich auf einen Freikauf einließ. Nur wenigen gelang
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