Der Todesengel von Florenz
Schatten über seiner Seele. Ihm war, als sei die trügerische Schicht Asche, die während der vergangenen Monate die unselige Glut in ihm allmählich zugedeckt hatte, im Augenblick ihres Erscheinens wie von einem Sturmwind davongeblasen worden, als sei die Glut wieder zu hell auflodernden Flammen entfacht.
Herr, gib mir die Kraft, der Versuchung des Fleisches zu widerstehen, betete er stumm, während seine Lippen mühelos den vertrauten Gesang formten. Du weißt besser als jedes irdische Wesen, Herr, wie schwach und wankelmütig wir Menschen sind!
Doch es war nicht allein die beklemmende Vorstellung, nun wieder täglich im Palazzo der Petrucci ein und aus zu gehen und dort auch Lucrezia zu begegnen, die ihn beschäftigte. Da war auch die Sache mit den beiden herausgeputzten Franzosen, die Lucrezia so unverblümt hofiert hatten. Offenbar hatte sie daran sogar Gefallen gefunden, insbesondere an den blumigen Schmeicheleien dieses Schönlings Henri de la Croix, was ihm ein ärgerliches Rätsel war.
Schließlich gab es noch etwas, das ihn zu alledem immer wieder vom Chorgebet der Komplet ablenkte, und zwar den merkwürdigen Wortwechsel zwischen Vincenzo Bandelli und dem Conte della Mirandola, den er bei seiner Rückkehr ins Kloster zufällig aufgeschnappt hatte.
Dass Pico della Mirandola, ein überaus gelehrter Mann von gerade mal siebenundzwanzig Jahren, San Marco aufsuchte, war an sich nichts, was ihn überrascht hätte. Seit seiner erfolgreichen Flucht aus Frankreich war der junge Graf ein häufig gesehener Gast, der viel Zeit in der Bibliothek des Klosters verbrachte. Er schätzte die Ruhe und die Sicherheit, die ihm hier gewiss waren. In den letzten Jahren hatte der Philosoph, der mehrere Sprachen beherrschte und sich wie wohl kein anderer Gelehrter nichtjüdischen Glaubens mit der Kabbala beschäftigt hatte, viel von sich reden gemacht – im Guten wie im Schlechten.
Dass er eine verheiratete Frau auf ihr eigenes Betreiben hin entführt hatte, von dem gehörnten Ehemann verfolgt worden war und sich nach einem kurzen Gefecht mit demselben monatelang hatte verstecken und seine Verletzung kurieren müssen, war schlimm genug. Viel schwerer wog jedoch eine ganz andere Verfehlung. Nämlich, dass er neunhundert zum Teil äußerst riskante theologische Thesen verfasst und in Rom in Druck gegeben hatte, um sie dort öffentlich vor Gelehrten aus aller Welt zu verteidigen. Papst Innozenz VIII. hätte ihm seine Kühnheit wohl verzeihen können, hätte er gewartet, bis die eigens dafür eingesetzte Kommission seinen Thesen Rechtgläubigkeit bestätigt hatte.
Doch das hatte Pico della Mirandola nicht getan. Stattdessen hatte er hastig eine Rechtfertigungsschrift verfasst und veröffentlicht, ohne das interne Votum der Kommission abzuwarten. Das war ihm von der Kurie so schwer verübelt worden, dass ihm ein Prozess wegen Häresie drohte. Ihm war nur die überstürzte Flucht nach Frankreich geblieben, wo er auf dem Weg nach Paris verhaftet wurde. Dass König Karl VIII. der Forderung des Papstes, ihn auszuliefern, nicht nachgekommen war, verdankte der ungestüme Graf allein seinem Freund und Gönner Lorenzo de’ Medici, der schließlich 1488 auch dafür gesorgt hatte, dass er bei freiem Geleit nach Florenz zurückkehren konnte.
All das war nichts, was Pater Angelico an Pico della Mirandolas Leben und Treiben beunruhigend fand. Der Mann hatte – wie jeder andere – viele Gesichter, und das des Gelehrten gereichte ihm allemal zur Ehre. Was ihn beunruhigte, war vielmehr jener Wortwechsel, den er an der Tür zum Studiolo des Priors leider nur in Teilen aufgeschnappt hatte. Immer wieder versuchte er seither, sich das Gesagte so genau wie möglich in Erinnerung zu rufen.
Da war von Girolamo Savonarola die Rede gewesen, jenem einstigen Klosterbruder, der sich bei öffentlichen Predigten mit seiner groben Aussprache – die zu seinem wenig einnehmenden Äußeren gepasst hatte – bei Florentinern wie Klosteroberen wenig Sympathien erworben hatte. Die Leute in Florenz erwarteten von ihren Priestern eine elegante Sprache und anregende Predigten. Savonarola aber hatte ihnen derbe theologische Kost geboten, die mit ihrem geradezu fanatisch eifernden Grundton selbst über das weit hinausgegangen war, was sie von feurigen Bußpredigern gewohnt waren. Kurzum: er war für San Marco untragbar geworden, und so hatte man ihn eiligst nach Bologna weggelobt, an die Universität der Dominikaner.
Und nun sollte er nach Florenz und zu ihnen
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