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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Hand geführt haben!«, stieß Pater Angelico voller Grausen hervor.
    Der Novize sank auf den nächsten Schemel, so als sei ihm plötzlich alle Kraft aus den Beinen gewichen. Er würgte ein paar Mal, aber er übergab sich nicht.
    »Der schlimmste Teufel auf Erden ist und bleibt der Mensch«, erwiderte Tiberio Scalvetti trocken. »Und dieser hier hat nichts unversucht gelassen, um uns davon zu überzeugen. Nur hätte er sein Opfer besser auf die Dielenbretter als an den verdammten Balken genagelt. Dann wäre es leichter, seine Botschaft zu entziffern.«
    Pater Angelico nickte. »Immerhin war er so rücksichtsvoll, ihre Zunge nicht auf, sondern ein gutes Stück unter die Mitte der Tarotkarte zu nageln, um uns die Arbeit nicht gar so schwer zu machen«, sagte er, trat an den Balken und studierte die Zeichnung. Dabei atmete er nur durch den Mund, denn im Tod hatten sich die Schließmuskeln der Frau geöffnet; ihre Leiche war entlang der Beine mit Urin und Kot beschmutzt.
    »Dummheit kann man ihm wahrlich nicht nachsagen«, räumte Scalvetti widerwillig ein.
    »Nun, dann wollen wir also lesen, was er uns hinterlassen hat«, sagte Pater Angelico. »Der Erzengel Gabriel in der oberen linken Ecke ist uns ja schon vertraut.«
    »Und der Dämon unten rechts fehlt auch nicht. Ich nehme an, dies soll den liebreizenden Beelzebub darstellen«, ergänzte der Commissario.
    Pater Angelico nickte. »Das deckt sich mit der Zeichnung in der Mitte der Karte«, sagte er mit Blick auf das sich erbrechende, fette Schwein. »Damit dürfte klar sein, dass wir es hier mit der Todsünde gula zu tun haben.«
    »Völlerei, Gefräßigkeit und Selbstsucht«, zählte Bruder Bartolo hinter ihnen mit kläglicher Stimme die Sünden auf, die unter gula verstanden wurden.
    »Das ist auch mein Eindruck«, pflichtete Tiberio Scalvetti ihm bei. »Und wenn man sich den Leib der Toten ansieht und nur ein wenig über ihren nicht eben maßvollen Lebenswandel weiß – was ich für mich in Anspruch nehmen kann –, dann hat man es nicht schwer, einen Zusammenhang herzustellen. Es heißt zwar: De mortuis nil nisi bene. « Über die Toten soll man nur Gutes sagen. »Aber wir stehen hier ja nicht am Grab in dem Augenblick, bevor die ersten Erdbrocken auf den Sarg poltern und man der Toten noch ein paar fromme Sprüche mit auf den Weg gibt. Deshalb sei hier in aller Deutlichkeit gesagt, dass Bartolomeas Fress- und Sauflust ihrem Hang zu lästerlichen Reden in nichts nachstand. Die Frau konnte einen trinkfesten Landsknecht unter den Tisch saufen und mit ihren Flüchen selbst einen Kesselflicker blass werden lassen.«
    »Hier scheint also alles zusammenzupassen«, folgerte Pater Angelico. »Ganz anders als im Fall von Pater Nicodemo, der von dem Mörder so schändlich verleumdet worden ist.«
    »Vielleicht liegt bei Eurem Klosterbruder eine tragische Verwechslung vor.« Scalvetti zuckte die Achseln. »Aber lassen wir das. Darüber zu spekulieren bringt uns jetzt nicht weiter. Helft mir lieber, die Nuss zu knacken, die er uns hier präsentiert hat!« Er wies auf den blutigen Leib der Toten. »Ich habe von den Markierungen schon einiges Blut weggewischt.«
    Pater Angelico betrachtete die Schnitte im Fleisch genauer. Der Commissario hatte recht. Hier war viel weniger deutlich zu erkennen, welche Buchstaben und Zahlen der Mörder in die Haut geschnitten hatte, als bei Pater Nicodemo. Das lag zu einem Gutteil an den Fettwülsten der Toten. Zudem war dem Täter die erste römische Zahl misslungen. Offenbar hatte er bei den ersten beiden Markierungen – dem Buchstaben und der ersten Zahl für das gemeinte Kapitel – unterschätzt, wie weit die Oberhaut eines fetten Menschen im Gegensatz zu der eines mageren unter einem Messer aufplatzt und Wülste bildet. Die restlichen Ziffern, sieben an der Zahl, waren dagegen einigermaßen deutlich zu erkennen. Sie ergaben die Folge: XIXXXIV.
    »Mir scheint, die ersten Schnitte bilden wieder ein L, womit wir es entweder erneut mit einer Stelle aus dem Levitikus oder aber mit einem Vers aus dem Lukasevangelium zu tun hätten, Commissario.«
    »Es sei denn, ihm ist unten bei dem kurzen waagerechten Strich das Messer ausgerutscht«, wandte Tiberio Scalvetti ein. »In dem Fall könnte es sich um einen Hinweis auf das Buch Hiob handeln.«
    Pater Angelico wiegte unentschlossen den Kopf. »Möglich wäre es, aber auf Anhieb will mir bei Hiob keine Stelle einfallen, die zu dieser Todsünde passen könnte – womit ich nicht ausschließen will,

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