Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
Gefahr für die Seele.« Er winkt mit der Hand. »Oder die mentale Gefahr, falls du nicht an eine Seele glaubst. Worauf ich hinauswill … wenn du zu lange in diese Richtung blickst, läufst du Gefahr, dich nie wieder von dem zu erholen, was du siehst.« Er schlägt mit der Faust in die Handfläche. »Niemals. Ich habe eine Menge Dreck gesehen, Smoky …« Er schüttelt den Kopf. »Einmal habe ich ein halb aufgegessenes Baby gefunden. Seine Mutter war drogensüchtig, hatte einen miesen Trip und bekam Hunger. Der Fall hat mich zum Alkoholiker gemacht.«
Ich starre ihn überrascht an. »Das wusste ich nicht.«
Er zuckt die Schultern. »War vor meiner Zeit beim FBI. Weißt du, was mich dazu gebracht hat, mit dem Trinken wieder aufzuhören?« Er wendet den Blick ab. »Elaina. Eines Nachts kam ich um drei Uhr morgens stockbetrunken nach Hause. Sie sagte zu mir, dass ich damit aufhören müsse. Ich …« Er verziehtdas Gesicht. Seufzt. »Ich packte sie beim Arm, sagte ihr, dass sie sich gefälligst um ihren eigenen Kram scheren soll und verlor dann auf dem Sofa das Bewusstsein. Am nächsten Morgen wurde ich vom Duft von gebratenem Schinken wach. Elaina machte das Frühstück. Sie kümmerte sich um mich wie immer, als wäre nichts gewesen. Doch da war etwas gewesen. Sie trug so ein ärmelloses Hemd, weißt du, und sie hatte blaue Flecken und Kratzer am Arm, wo ich sie gepackt hatte …« Er stockt sekundenlang, sucht nach Worten. Ich warte fasziniert. »Diese Mutter, die ihr Baby gegessen hatte, kam irgendwann ebenfalls wieder zur Besinnung. Als sie sah, was sie getan hatte, fing sie an zu schreien. Es war ein Geräusch, wie ich es noch nie bei einem Menschen gehört habe. Wie ein Affe, der bei lebendigem Leib verbrennt. Sie schrie und schrie, hörte gar nicht mehr auf. Genauso habe ich mich gefühlt, als ich die blauen Flecken am Arm dieser wunderbaren Frau gesehen habe. Mir war nach Schreien zumute. Verstehst du, was ich meine?«
»Ja.«
Er sieht mich wieder an.
»Ich hörte auf zu trinken und war wieder da. Wegen Elaina. Es gab andere schlimme Zeiten, und ich habe mich immer wieder aufgerappelt. Wegen Elaina, immer wegen Elaina. Sie ist … mein kostbarster Schatz.« Er hüstelt verlegen. »Als sie krank wurde vergangenes Jahr, und als dieser Psycho sie verfolgt hat, hatte ich eine Höllenangst, Smoky. Ich hatte Angst, an einen Ort zu kommen, wo ich Elaina brauche, und sie ist nicht mehr da. Wenn es so weit kommt, schaffe ich es niemals allein zurück. Es ist alles ein Balanceakt, weißt du? Zu wissen, wie weit ich gehen kann, wie viel ich sehen kann und trotzdem noch zu ihr zurückzukommen. Eines Tages werde ich sagen, dass es reicht, und ich hoffe, dass ich weiß, wann der Zeitpunkt gekommen ist.« Er lächelt mich an. Es ist ein aufrichtiges Lächeln, doch es ist zu vielschichtig, um nur »glücklich« zu sein. »DieAntwort auf deine Frage lautet, dass ich für den Augenblick hier bin. Eines Tages werde ich nicht mehr da sein, nur weiß ich nicht, wann dieser Tag kommen wird.«
Wir passieren die Sicherheitsschleuse und durchqueren die Eingangshalle, als mir eine sportliche, kraftvolle Blondine mit einem strahlenden Lächeln in den Weg tritt. Sie streckt mir die Hand hin. Sie knistert förmlich vor Selbstvertrauen und Energie.
»Agentin Barrett? Ich bin Kirby Mitchell.«
Ich zucke zusammen; dann wird mir klar, dass wir inzwischen weit nach halb sechs haben müssen. Ich hatte die Verabredung völlig vergessen.
Ah, der weibliche Killer im Regierungsauftrag , will ich sagen. Erfreut, Sie kennenzulernen … oder sollte ich vielleicht ein Fragezeichen dahintersetzen? Das wird mir nur die Zeit verraten, nehme ich an.
Also lächle ich und ergreife ihre Hand und schüttle sie und mustere sie flüchtig von oben bis unten.
Sie passt hundertprozentig zu dem Eindruck, den ich bei unserem Telefongespräch gewonnen habe. Attraktiv, schlank, eins fünfundsiebzig groß, blonde Haare, die vielleicht echt sind, vielleicht auch nicht, strahlend blaue Augen und ein ewiges Lächeln, das viel zu weiße Zähne zeigt. Sie sieht aus wie jemand, der mit zwanzig Jahren eine Menge Zeit als Beach Bunny verbracht und mit Surfern herumgehangen und an Lagerfeuern Bier getrunken hat. Wie jemand, der mit Kerlen geschlafen hat, die genauso blond sind wie sie selbst und nach Meerwasser und Surfwachs und Marihuana riechen. Die Sorte von Mädchen, die stets bereit war, freitags um fünf in ein kleines schwarzes Cocktailkleid zu schlüpfen, um
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