Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
der das alles geschehen ist, das Furchtbare, haben mich geschockt wie ein Schlag ins Gesicht. Mein Magen ist aufgewühlt vom Adrenalinstoß. Ich habe noch nicht ganz begriffen, dass Nicholson tot ist, noch nicht. Ich weiß nur, dass ich außer mir bin vor Wut. Der Künstler steckt hinter alledem. Er ist auch für diesen Toten verantwortlich.
Der Künstler. Ich bin seine Spielchen leid, seine Rätsel und alles andere.
Ich will seinen Kopf. Ich will seinen Tod.
Nicholsons Schlafzimmer ist wie der Rest des Hauses. Spartanisch, lieblos. Alles ist sauber, doch das Haus hat keine Seele. Die Wände sind kahl, die Vorhänge vor den Fenstern billig und unpassend. Hier in diesem Haus hat er geschlafen, hier hat er gegessen, hier hat er Schutz vor dem Regen gefunden. Mehr nicht.
Ich entdecke ein Foto in einem Rahmen, auf einem Nachttisch neben dem Bett. Nicholson ist darauf zu sehen. Er lächelt, seine Augen sind lebendig. Er hat die Arme um ein junges Mädchen gelegt, das wie sechzehn aussieht. Sie besitzt die dicken, dunklen Haare ihres Vaters, doch die Augen gehören jemand anderem. Der Geist ihrer Mutter?
Alan betrachtet das Foto ebenfalls. »Sieht aus wie ein ganz normales Vater-Tochter-Bild«, sagt er.
Ich nicke bloß. Mir ist immer noch nicht nach Reden.
Alan öffnet den begehbaren Kleiderschrank und kramt in den Regalen. Dann stockt er. Rührt sich nicht mehr. Totenstille.
»Wow!«, sagt er schließlich. »Das musst du dir ansehen.«
Er kommt aus dem Kleiderschrank, einen Schuhkarton in den Händen. Der Deckel ist abgenommen. Ich sehe Polaroidfotos. Berge von Polaroids. Alan nimmt eins hervor und reicht es mir.
Das Mädchen auf dem Foto ist blass, und es ist nackt. Es ist das gleiche Mädchen wie auf dem Bild auf dem Nachttisch, doch hier ist es Anfang zwanzig. Es ist eine Frontalaufnahme. Sie steht mit den Händen hinter dem Rücken da, die Füße leicht nach innen gedreht; der Blick ist abgewandt und mutlos. Sie hat große Brüste und ist im Schambereich unrasiert. Sie sieht schutzlos und abgestumpft aus.
Ich vergleiche das Bild mit dem Foto im Rahmen.
»Eindeutig die gleiche Person«, sage ich.
»Der Schuhkarton ist voll davon«, sagt Alan, während er in den Fotos kramt. »Sieht aus, als wären sie in chronologischer Reihenfolge. Sie ist immer nackt. Das Alter ist unterschiedlich.« Er kramt weiter. »Mein Gott. Nach den Veränderungen im Gesicht und am Körper zu urteilen, geht das schon Jahre so.«
»Mehr als zehn Jahre, schätze ich.« Ich fühle mich, als hätte jemand die Luft aus mir gelassen. Meine Wut hat sich verflüchtigt. In mir ist nichts als Leere.
Alan starrt mich an, während er versucht, das Ungeheuerliche zu begreifen. Er tippt mit dem Fuß auf, wiegt den Schuhkarton in seiner riesigen Hand. »Okay, okay. Ergibt Sinn«, sagt er schließlich. »Der Killer nimmt Nicholsons Tochter als Geisel. Doch Nicholson ist nicht nur Vater, er ist auch Cop. Der Künstler braucht etwas, womit er Nicholson an der Leine halten kann, also liefert er regelmäßig Beweise, dass seineTochter noch am Leben ist.« Er tippt entschiedener mit dem Fuß auf. »Verdammt! Warum ist Nicholson damit nicht zum FBI gekommen? Warum hat er seine Tochter so lange in den Fingern dieses Mistkerls gelassen, ohne etwas dagegen zu unternehmen?«
»Weil er ihm geglaubt hat, Alan. Wenn er nicht tat, was der Künstler von ihm verlangte, würde der seine Tochter töten. Solange Nicholson sich an den Plan hielt, würde er sie am Leben lassen. Er hat Nicholson regelmäßig einen Beweis geschickt, dass er sich an sein Wort hält.«
»Das ist mir klar. Trotzdem … hättest du getan, was Nicholson getan hat? So viele Jahre?«
Meine Antwort kommt ohne jedes Zögern. Ich muss nicht groß darüber nachdenken. Die Möglichkeit, dass Alexa noch am Leben wäre – oder die gegenwärtige Realität ihres Todes?
»Wahrscheinlich ja. Wenn er überzeugend genug war. Ja.« Ich blicke Alan in die Augen. »Was, wenn er Elaina in seiner Gewalt hätte?«
Er hört auf, mit dem Fuß zu tippen. »Du hast recht.«
Ich starre auf das Foto. »Warum? Warum Nicholson?«
»Ich dachte, das wüssten wir schon. Der Künstler brauchte Nicholson, um die Ermittlungen im Langstrom-Fall zu manipulieren.«
Ich schüttle den Kopf. »Nein. Ich meine … ja, sicher, er hat Nicholson dazu benutzt, aber warum ist er das Risiko eingegangen? Warum hat er sich überhaupt die Mühe gemacht? Er hätte seine Spuren wesentlich besser verwischen können … allerdings hat
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