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Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)

Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)

Titel: Der Todeskünstler: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyen
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inzwischen egal. Es war gefährlich, mehr als Gleichgültigkeit für irgendetwas zu empfinden, denn das konnte Schmerz bedeuten, und mit Schmerz wurde Sarah nicht gut fertig.
    Sie tanzte wie auf einem Drahtseil, seit ein paar Jahren schon. Die schlimmen Erfahrungen hatten sich aufgestaut, und ihre Seele war an einem Wendepunkt angelangt. Ihr war bewusst geworden, dass sie nur einen winzigen Schritt davon entfernt war, verrückt zu werden. Ein ganz leichter Stoß, ein Federhauch – mehr brauchte es nicht, um sie vom Seil zu stoßen. Es würde ein tiefer Sturz werden.
    Das war ihr eines Morgens im Heim klar geworden. Sie hatte draußen gesessen, hatte ins Nichts gestarrt, an nichts gedacht. Sie hatte sich am Arm gekratzt, eine juckende Stelle. Sie hatte geblinzelt, einmal, und eine Stunde war vergangen. Ihr Arm hatte zu schmerzen angefangen. Schließlich hatte sie an sich heruntergeblickt und festgestellt, dass sie sich gekratzt hatte, bis das Blut kam.
    Dieser Augenblick hatte ihre Betäubung vertrieben. Er hatte ihr Angst gemacht, Heidenangst. Sie wollte nicht den Verstand verlieren.
    Manchmal fing sie an zu zittern. Sie hatte versucht, alleinezu sein, wenn die Anfälle kamen. Sie wollte nicht, dass die anderen Mädchen ihre Schwäche sahen. Sie konnte spüren, wenn das Zittern kam: In ihrem Magen breitete sich ein mulmiges Gefühl aus, und die Ränder ihres Sichtfelds wurden dunkel. Dann eilte sie in den Schlafsaal und legte sich auf ihre Pritsche, oder sie setzte sich auf eine Toilette, schlang die Arme um sich und ließ das Gewitter über sich hinwegziehen. Die Zeit verlor jegliche Bedeutung, wenn es so weit war.
    Irgendwann hörte es jedes Mal auf.
    Sie hatte Angst, und diese Angst war begründet. Nicht verrückt zu werden, nicht den Verstand verlieren war plötzlich Arbeit geworden, etwas, wofür sie sich anstrengen musste. Es war nicht mehr selbstverständlich.
    Doch die meiste Zeit war Sarah einfach nur gleichgültig. Gleichgültig gegenüber allem. Der tiefe schwarze Schacht brodelte in ihrem Innern, blubbernd, ölig und stets hungrig. Sie fütterte ihm ihre Erinnerungen und verlor dabei Jahr für Jahr ein wenig mehr von sich selbst.
    Sarah war jetzt vierzehn, fühlte sich aber, als wäre sie so alt wie die Ewigkeit.
    Sie stieg aus dem Bett, zog sich an und ging nach draußen. Sie hatte nichts von Cathy gehört, keinen Besuch zum Geburtstag bekommen, und sie war bereit, auch Cathy in den schwarzen Schacht zu werfen, dachte sich aber, dass sie sich vielleicht draußen hinsetzen und noch ein bisschen warten sollte, bevor sie es tat. Vielleicht kam Cathy ja noch. Vielleicht brachte sie einen Napfkuchen, wie bisher jedes Jahr. Cathy tat ihr Bestes, das wusste Sarah. Sie wusste von dem Krieg, der in Cathys Herz tobte, von Cathys Problemen mit menschlicher Nähe. Sie war ihr nicht böse deswegen.
    Es war ein schöner Tag. Die Sonne schien, doch es ging eine kühle Brise, sodass es nicht unerträglich heiß war. Sarah schloss die Augen, lehnte sich zurück und genoss den Moment.
    Ein Wagen hupte laut und riss sie aus ihrer Versunkenheit.Er hupte erneut, beharrlich, und Sarah runzelte die Stirn. Sie hob den Kopf und schaute zur Straße. Sie saß in der Nähe des Zauns, der das gesamte Gelände umschloss, allein und abseits von den anderen Mädchen. Rechts vom Heim erstreckte sich eine Wohnstraße – und dort stand der Wagen, an der Bordsteinkante. Irgendein schäbiger amerikanischer Schlitten. Stumpfer blauer Lack. Ein richtiger Schrotthaufen.
    Jemand war am Beifahrerfenster.
    Der Wagen hupte erneut, und nun war Sarah ziemlich sicher, dass es ihr galt, und sie fragte sich für einen Moment, ob es Cathy war … aber nein, Cathy fuhr einen Toyota.
    Sarah erhob sich und ging zum Zaun. Sie spähte aus zusammengekniffenen Augen zu dem Wagen, konzentrierte sich auf das Gesicht hinter der schmutzigen Beifahrerscheibe.
    Fast konnte sie es erkennen. Es war das Gesicht einer jungen Frau.
    Dann wurde das Gesicht von hinten gegen das Fenster gedrückt, und Sarah sah es ganz deutlich. In ihren Adern erstarrte das Blut zu Eis.
    Theresa!
    Sarah stand da wie angewurzelt. Sie konnte sich nicht rühren. Der Wind zerzauste ihr Haar.
    Theresa war älter …
    (klar, sie muss inzwischen einundzwanzig sein …)
    … doch es war Theresa, kein Zweifel …
    (absolut kein Zweifel. Mach ein Bild, es hält länger)
    … und sie war völlig verängstigt und weinte.
    Sarah bemerkte einen Schatten hinter Theresa. Der Schatten bewegte sich, und

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