Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
Smoky Barrett!« Meine Stimme peitscht durchs Zimmer, viel lauter, als ich vorgehabt hatte, so laut, dass ich selbst zusammenzucke.
Sarah erschrickt ebenfalls. Der Gesang verstummt.
»Du hast nach mir gefragt, Sarah«, sage ich, jetzt wieder leiser. »Ich bin hier. Sieh mich an.«
Die plötzliche Stille ist auf ihre Weise genauso schwer zu ertragen wie vorher das Singen. Sarah starrt unverwandt aus dem Fenster. Die Waffe ist immer noch an ihrer Schläfe.
Langsam, ganz langsam dreht Sarah sich zu mir um. Es ist eine Montage aus ruckhaften Bewegungen, wie eine alte Tür, die in rostigen Angeln geöffnet wird. Das Erste, was mir auffällt, ist Sarahs Schönheit – eine Schönheit, die inmitten des Gemetzels ringsum beinahe ätherisch wirkt, engelsgleich, wie aus einer anderen Welt. Ihr Haar ist dunkel und seidig, so unglaublich wie bei den Models in der Shampoowerbung. Sie hat einen exotischen Einschlag, der europäische Wurzeln verrät. Französische vielleicht. Ihre Gesichtszüge besitzen jene perfekte Symmetrie, von der die meisten Frauen nur träumen können und für die sich viel zu viele in Los Angeles unter die Messer von Schönheitschirurgen legen.
Ihr Gesicht ist ein Gegenspiegel zu meinem, ein Kontrapunkt der Perfektion zu meiner Gesichts-kraterlandschaft.
Blutspritzer sind auf ihren Armen, auf Stirn und Wangen und auf ihrem langärmligen weißen Nachthemd. Sie hat einen vollen Kussmund, und obwohl ich sicher bin, dass ihre Lippen sonst wunderbar rosig sind, leuchten sie jetzt im bleichen Weiß eines Fischbauchs.
Das Nachthemd verwundert mich. Wieso trägt sie nachmittags ein Nachthemd?
Ihre Augen leuchten in einem intensiven Blau, atemberaubend. Doch der Ausdruck darin ist so hoffnungslos, dass mir ganz anders wird.
An die Schläfe all dieser Schönheit gedrückt hält sie immer noch die Mündung einer Neunmillimeter Browning, wie ich jetzt erkenne. Wenn sie den Abzug betätigt, bleibt von der Schönheit nichts mehr übrig.
»Sarah? Kannst du mich jetzt hören?«
Sie starrt mich weiter aus diesen hoffnungslosen, blau leuchtenden Augen an.
»Sarah, ich bin es. Smoky Barrett. Du hast nach mir gefragt, und ich bin gekommen, so schnell ich konnte. Kannst du mit mir reden?«
Sie seufzt. Es ist ein Seufzer, der direkt aus ihrer Seele kommt und durch ihren ganzen Körper geht. Ein Seufzer, der sagt: Ich möchte mich hinlegen, einfach nur hinlegen und sterben. Wenigstens sieht sie mich jetzt an. Ich will, dass sie mich ansieht. Ich will nicht, dass der Blick aus diesen Augen umherschweift und auf die Leichen auf dem Bett fällt, sodass sie sich erinnert.
»Sarah? Ich hab eine Idee. Wir gehen nach draußen auf den Flur. Wir müssen nicht woanders hin – wir können uns auf die Treppenstufen setzen. Wir setzen uns, und ich warte, bis du reden willst, okay?« Ich lecke mir über die Lippen. »Was hältst du davon, Sarah?«
Sie neigt den Kopf, eine beiläufige Bewegung, die entsetzlich wirkt, weil sie sich weiterhin die Mündung der Browning an die Schläfe drückt. Es lässt sie wie eine Marionette erscheinen.
Ein weiterer tiefer Seufzer, ein noch abgehackteres Geräusch. Ihr Gesicht ist völlig ausdruckslos. Nur die Seufzer und die Augen verraten mir, dass es in ihr arbeitet.
Lange Sekunden vergehen. Dann nickt sie.
In diesem Augenblick bin ich beinahe dankbar für Bonnies Stummheit. Sie hat mich gelehrt, mich auch ohne Worte zu unterhalten und im Gesicht, in den Augen und den Gesten nuancierte Bedeutungen zu erkennen.
Okay , sagt Sarahs Nicken. Aber die Waffe bleibt, und ich werde sie wohl auch benutzen.
Schaff das Mädchen erst einmal aus diesem Zimmer , sage ich mir. Das ist der erste Schritt.
»Sehr gut, Sarah. Ich stecke jetzt meine Waffe weg, siehst du?« Ihre Blicke folgen meinen Händen. »So. Und jetzt geheich aus dem Zimmer. Ich will, dass du mir folgst. Sieh nur mich an. Das ist wichtig, Sarah. Nur mich, hörst du? Sieh nicht nach rechts oder links. Sieh nur auf mich.«
Ich setze mich rückwärts in Bewegung, gehe auf geradem Weg zur Tür. Dabei schaue ich Sarah unverwandt in die Augen, versuche sie durch bloße Willenskraft dazu zu bringen, den Blick nicht von mir zu nehmen.
»Komm, Sarah. Ich bin hier. Komm zu mir.«
Ein Zögern, dann gleitet sie von der Fensterbank. Sie fließt fast herunter, wie Wasser. Die Waffe ist noch immer an ihrer Schläfe. Ihr Blick bleibt auf mich gerichtet, als sie mir zur Tür folgt. Sie schaut nicht zur Seite, zum Bett, kein einziges Mal.
Oh ja ,
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