Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
der Hand. Er war fröhlich, entspannt, und er lächelte mir zu. Er sagte Hallo, war freundlich und normal, und dann … dann sagte er noch, er hätte ein Geschenk für mich.« Sie zögert. »Er sagte: ›Es war einmal ein Mann, der hatte den Tod verdient. Er war ein begabter Dichter. Ein Laie, aber begabt. Er schuf hübsche Worte, doch in seinem Innern war er finster. Eines Tages kam ich zu diesem Mann. Ich kam zu ihm, setzte seiner Frau eine Waffe an den Kopf und befahl ihm, ein Gedicht für sie zu schreiben. Ich sagte ihm, es wäre das Letzte, das sie hören würde, bevor ich ihr das Gehirn aus dem Kopf puste. Der Dichter tat, was ich ihm befohlen hatte, und ich tötete beide, gelobt sei der Herr. Als sie tot waren, weidete ich sie aus, damit alle Welt die Dunkelheit in ihrem Innern sehen konnte.‹«
Die Botschaft , denke ich. Er nimmt sie aus, damit wir sehen können, wer sie wirklich waren.
Auch die religiöse Anspielung bleibt mir nicht verborgen. Fanatismus bei Serienkillern ist fast immer ein Anzeichen von Wahnsinn.
Allerdings nicht in diesem Fall. Sein Glaube wurde nicht entflammt von seinem Durst nach Rache. Er ist mit seinem Glauben aufgewachsen.
»Hat er dir dieses Gedicht gegeben?«, frage ich. »War es das Geschenk?«
»Ein Blatt, ja. Er hat gesagt, er hätte es für mich noch einmal abgetippt. Ich steckte das Blatt in mein Nachthemd, nachdem ich es auf sein Verlangen hin gelesen hatte.« Sie nickt in Richtung des Nachttischs neben ihrem Krankenbett. »Es liegt in derSchublade. Lesen Sie es nur. Er hatte recht, es ist ziemlich gut, wenn man die Umstände seiner Entstehung bedenkt.«
Ich ziehe die Schublade auf. Dort liegt ein unscheinbares gefaltetes Blatt Papier. Ich falte es auseinander und lese:
DU BIST ES.
Wenn ich atme,
Bist du es.
Wenn mein Herz schlägt,
Bist du es.
Wenn mein Blut fließt,
Bist du es.
Wenn die Sonne aufgeht,
Wenn die Sterne leuchten,
Bist du es.
Du bist es.
Ich lese kaum jemals Gedichte, und so kann ich nicht beurteilen, was ich soeben gelesen habe. Ich weiß nur, dass mir die Schlichtheit gefällt, und ich frage mich, in welchem Moment es wohl entstanden ist.
»Es stimmt, wissen Sie?«, sagt Sarah in diesem Augenblick.
Ich blicke auf. »Was stimmt?«
»Wenn er sagt, dass es so gewesen ist, dann ist es so gewesen.« Sie schließt die Augen. »Der Künstler hat gesagt, dass die Tinte des Originals verschmiert sei, weil der Dichter beim Schreiben geweint habe. Außerdem wäre das Blut seiner Frau darauf. ›Hübsche kleine Spritzer‹, hat er gesagt. ›Von dem Kopfschuss, mit dem ich sie getötet habe.‹«
»Was geschah als Nächstes?«
Sie blickt zur Seite und fährt mit leiser Stimme fort:
»Er wollte wissen, wie mir das Gedicht gefällt. Es schien ihn wirklich zu interessieren. Ich habe ihm nicht geantwortet, aber das hat ihm anscheinend nichts ausgemacht. ›Schön, dich wiederzusehen‹, hat er gesagt. ›Dein Schmerz ist wundervoller als je zuvor.‹«
»Sarah … wie genau kannst du dich daran erinnern, wie er spricht und was er sagt?«
»Ich habe ein gutes Gedächtnis für Stimmen und dafür, was Leute sagen. Es ist kein fotografisches Gedächtnis oder so, aber besser als bei jedem, den ich kenne. Und ich konzentriere mich auf ihn, wenn er zu mir spricht. Auf die Art, wie er redet. Auf die Dinge, die er dabei tut.«
»Das ist sehr gut«, sage ich ermutigend. »Das hilft uns bestimmt weiter. Wie groß ist dieser … der Künstler?«
»Eins achtzig, schätze ich.«
»Ein Schwarzer oder ein Weißer?«
»Weiß. Glatt rasiert.«
»Kräftig? Dünn? Athletisch? Schmächtig?«
»Er ist nicht dick, eher kräftig. Sehr stark. Er hat einen perfekten Körper. Perfekt. Offenbar trainiert er wie ein Besessener.«
Ich höre, wie Barry wieder Notizen kritzelt.
»Erzähl weiter, Sarah. Was ist dann passiert?«
»›Ich bin fast fertig mit deinem Bildnis, Sarah‹«, hat er gesagt. »›Zehn lange Jahre voller Hochs und Tiefs und Wendungen und Sorgen. Ich habe dich beobachtet, wie du dich gebogen hast und wie du zerbrochen bist. Es ist interessant, findest du nicht? Wie oft ein Mensch zerbrechen kann und trotzdem wieder auf die Beine kommt? Du bist nicht mehr das Mädchen von damals, als wir uns aufgemacht haben zu unserer Reise. Ich kann die Risse und Sprünge sehen, die Stellen, wo du dich zusammenflicken musstest.‹« Sarah bewegt sich unruhigim Bett. »Das waren nicht genau seine Worte, aber im Wesentlichen das, was er gesagt und gemeint
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