Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
ist, dein Schmerz ist meine Gerechtigkeit.‹ Ich habe damals nicht verstanden, was er damit meint. Ich verstehe es jetzt noch nicht.« Sie sieht mich fragend an. »Verstehen Sie es?«
»Noch nicht. Wir vermuten, es könnte eine Art Rache sein, die ihn antreibt.«
»Rache? Wofür?«
»Das wissen wir noch nicht. Du sagst, er tut Dinge, um dein Leben zu verändern. Um dich zu verändern. Was für Dinge?«
Eine lange Pause. Ich kann nicht sagen, was sich hinter Sarahs Augen abspielt. Ich sehe nur, dass es riesig und traurig und nichts Neues für sie ist.
»Es ist wegen mir«, sagt sie schließlich ganz leise und kleinlaut. »Er bringt jeden um, der gut zu mir ist oder gut zu mir sein könnte. Er tötet alles, was ich liebe und was mich liebt.«
»Und das ist vorher niemandem aufgefallen?«
Von einer Sekunde auf die andere verliert sie die Fassung und keift mich an, dass ich zusammenzucke. Ihre blauen Augen blitzen. »Es steht alles in meinem Tagebuch! Lesen Sie’s! Wie oft soll ich es Ihnen denn noch sagen, mein Gott! Mein Gott, mein Gott!«
Sie wendet sich ab, starrt wieder hinaus in die Sonne, zitternd und bebend und außer sich vor hilfloser Wut. Ich kann spüren, wie sie sich löst, sich in sich selbst zurückzieht.
»Tut mir leid, Sarah«, sage ich beruhigend. »Ich werde dein Tagebuch lesen. Jede Seite. Versprochen. Aber jetzt muss ich wissen … was ist gestern passiert? In deinem Haus? Erzähl mir bitte alles, woran du dich erinnern kannst.«
Es dauert eine Weile, bis sie antwortet. Sie ist nicht mehr wütend. Sie sieht müde aus, zu Tode erschöpft.
»Was wollen Sie wissen?«
»Alles, von Anfang an. Bevor er ins Haus gekommen ist. Was hast du gemacht?«
»Es war Vormittag. So gegen zehn. Ich hab mein Nachthemd angezogen.«
»Du hast dein Nachthemd angezogen? Wieso?«
Sie lächelt, und die alte Vettel, die Sarah in sich verborgen hält, ist wieder da, mit voller Wucht, und kichert hässlich.
»Michael hat es gesagt.«
Ich runzle die Stirn. »Warum hat Michael gesagt, dass du dein Nachthemd anziehen sollst?«
Sie sieht mich mit geneigtem Kopf an.
»Damit er mich ficken kann. Was denn sonst?«
KAPITEL 15
»Du und Michael hattet Sex?«
Ich bin stolz auf mich. Es ist mir gelungen, angesichts dieser Enthüllung ruhig zu bleiben.
»Nein, nein, nein. Nur zwei Menschen, die gleich sind, können Sex miteinander haben. Ich hab mich von Michael f icken lassen, damit er den Mund hält und Dean und Laurel nicht anlügt und sie dazu bringt, mich wegzuschicken.«
»Er hat dich dazu gezwungen?«
»Er hat mich erpresst.«
»Wie? Was hattest du angestellt?«
Sie sieht mich ungläubig an. »Angestellt? Ich hatte überhaupt nichts angestellt . Aber das hätte keine Rolle gespielt. Michael war der perfekte Sohn. Lauter Einsen, Kapitän der Schulmannschaft. Er hat nie etwas Schlechtes getan.« Die Bitterkeit in ihrer Stimme ist ätzend wie Säure. »Wer war ich denn? Eine Streunerin, die die Kingsleys bei sich aufgenommen hatten. Michael sagte, wenn ich nicht mit ihm schlafe, würde er Pot in meinem Zimmer verstecken. Dean und Laurel waren nette Leute, und sie waren gut zu mir. Aber sie hatten nicht viel Toleranz gegenüber irgendetwas … Unüblichem. Sie hätten mich weggeschickt. Ich dachte, ich könnte noch zwei Jahre aushalten, bis ich achtzehn bin. Dann wäre ich erwachsen gewesen und hätte selbst gehen können.«
»Also hast du mit ihm geschlafen, wenn er es verlangt hat?«
»Ein Mädchen muss schließlich sehen, wo es bleibt.« Ihre Stimme trieft vor Sarkasmus, doch ich spüre auch die Selbstverachtung tief in ihr, die mir fast das Herz zerreißt. »Er wollte immer nur, dass ich ihm einen blase, und er wollte mich vögeln.« Sie blickt auf ihre Hände. Sie zittern, ein schroffer Gegensatz zu der Härte in ihrem Gesicht. »Hey, ich bin schon lange keine Jungfrau mehr, okay? Was ist schon groß dabei?«
»Die Kingsleys haben nichts gemerkt?«
»Nein.« Sie zögert. »Abgesehen davon … sie haben mich gut behandelt. Ich wollte nicht, dass sie etwas davon erfahren. Es hätte ihnen wehgetan. Das hatten sie nicht verdient.«
»Also hast du dein Nachthemd angezogen. Was ist dann passiert?«
»Er kam zu meiner Schlafzimmertür.«
»Michael?«
»Nein. Der Fremde. Der Künstler . Er war plötzlich da. Ohne Vorwarnung. Er trug eine Strumpfhose über dem Kopf, wie früher auch schon.« Sie kaut einen Moment auf der Unterlippe, während sie von der Erinnerung übermannt wird. »Er hatte ein Messer in
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