Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
Bett ging. Ein verbreitetes Problem bei Eltern, das »Weihnachts-Syndrom«.
An Weihnachten jedoch konnte sie Sarah wenigstens sagen, dass der Weihnachtsmann nicht kommen würde, bevor sie eingeschlafen wäre. Geburtstage stellten eine wesentlich größere Herausforderung dar.
»Glaubst du, ich bekomme viele Geschenke, Mommy?«
Sam sah seine Tochter nachdenklich an. »Geschenke? Wieso solltest du Geschenke bekommen?«
Sarah ignorierte ihren Vater. »Und einen großen Kuchen, Mommy?«
Sam schüttelte bedauernd den Kopf. »Ganz sicher keinenKuchen«, sagte er. »Das Kind ist im Fieberwahn. Weich in der Birne.«
»Daddy!«, tadelte Sarah ihren Vater.
Linda lächelte. »Jede Menge Kuchen und Geschenke, Baby. Aber du wirst dich gedulden müssen«, ermahnte sie ihre Tochter. »Die Party fängt erst nach dem Mittagessen an, das weißt du.«
»Ich weiß! Aber ich wünschte, es wäre wie Weihnachten, wo man seine Geschenke gleich morgens bekommt!«
Bingo , dachte Linda. So hinterhältig und so offensichtlich. Wieso habe ich nicht vorher daran gedacht?
»Ich sage dir, was wir machen, kleines«, sagte sie. »Wenn du heute Abend schlafen gehst – rechtzeitig schlafen gehst – und mir keinen Ärger machst, darfst du morgen früh ein Geschenk auspacken. Was sagst du dazu?«
»Ehrlich?«
»Ehrlich. Wenn«, sie hob mahnend den Finger, »wenn du rechtzeitig zu Bett gehst.«
Sarah nickte mit dem Kopf auf jene übermäßig begeisterte Weise, wie alle kleinen Kinder es tun. Ganz nach hinten, in den Nacken, dann nach vorn, auf die Brust, und wiederholen.
»Dann also abgemacht.«
Sam brachte seine Tochter zu Bett. Buster folgte ihnen wie immer, gewohnheitsmäßig. Doreen gehörte zu jener Sorte Hund, die alle gleichermaßen liebte. Sie würde wahrscheinlich noch einen Einbrecher schwanzwedelnd durch das Haus führen, froh um seine Gesellschaft und in der Hoffnung auf ein Leckerchen für ihre Hilfe. Buster liebte seine Familie ebenfalls, doch er war wählerischer, und seine Sicht der Welt mehr von Misstrauen geprägt. Er liebte ausgewählte Menschen, seine Menschen, und er liebte sie von ganzem Herzen.
Sarah liebte er am meisten von allen. Und er schlief jede Nacht bei ihr im Bett.
Sarah war unter der Bettdecke. Buster sprang aufs Bett und rollte sich neben ihr zusammen. Er legte den Kopf auf ihren kleinen Bauch.
»Alles fertig, Zwerg?«
»Ein Kuss!«, verlangte sie und streckte die Arme nach ihrem Vater aus.
Sam beugte sich vor, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und ließ sich von ihr umarmen.
»Wie wäre es mit jetzt?«, fragte er.
Sie riss die Augen weit auf. »Mein kleines Pony!«, kreischte sie.
»Kleines Pony« war eine Kinderfigur, Feenstoff gemischt mit Pony-Stoff, was in unglaublich hellblauen Ponys mit pinkfarbenen Mähnen resultierte. Sarah hatte eine »kleines Pony«-Puppe, mit der sie schlief.
»Hmmm …«, sagte Sam und blickte sich suchend um. »Wo ist denn unser kleiner Esel?«
»Daddy!«, rief Sarah halb entrüstet, halb entzückt.
Väter necken ihre Töchter auf mancherlei Weise; dies war eine von Sams Methoden. Er hatte vor einem Jahr angefangen, »Pony« gegen »Esel« auszutauschen. Zuerst war Sarahs Entsetzen darüber echt gewesen, doch mit der Zeit war es zu einer Tradition zwischen ihnen geworden, und er wusste mit absoluter Sicherheit, dass sie gemeinsam darüber lachen würden, sobald Sarah älter war.
Er fand die Puppe auf dem Fußboden neben ihrem Bett und legte sie in Sarahs wartende Hände. Sie drückte die Puppe an sich, während sie sich weiter unter die Bettdecke wand. Die Bewegung zwang Buster, den Kopf zu heben. Er funkelte sie an und seufzte einen tiefen Hundeseufzer. Das schwere Los eines ungeliebten Haustiers , schien dieser Seuzfer zu sagen.
»Wie wäre es mit jetzt?«, fragte Sam.
»Du musst jetzt gehen, Dad!«, tadelte sie ihn. »Ich mussrechtzeitig einschlafen, damit ich morgen früh mein Geschenk bekomme.«
»Okay, Süße. Ich hab dich lieb.«
»Ich hab dich auch lieb, Daddy.«
Er konnte nicht wissen, dass es das allerletzte Mal war, dass er ihr das sagen würde.
Sarah kniff die Augen zusammen, tätschelte Buster und versuchte, an nichts mehr zu denken. Morgen war ihr Geburtstag! Sie würde sechs Jahre alt sein, fast eine Erwachsene, was zwar interessant war, doch die Geschenke waren noch viel aufregender!
Sie blickte sich in ihrem Zimmer um, betrachtete die Wände, erhellt vom Licht im Flur, das durch die halb offene Tür in ihr Zimmer fiel. Die Wände waren
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