Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
erstarrte, die Augen weit aufgerissen.
»Ich habe noch nie ein wildes Tier gesehen, das sich selbst bemitleidet hat«, sagte die fremde Stimme, wobei sie sich der Tür näherte. »Ein wildes Ding liebt dich, bis es hungrig ist und dich fressen will.«
Die Stimme war weder tief noch hoch, sondern irgendwo in der Mitte.
»Hörst du mich, Sarah? Diese Worte hat ein berühmter Dichter geschrieben.«
Er stand draußen vor ihrer Tür. Sarahs Zähne klapperten, auch wenn sie es nicht gewahr wurde.
Das war schlimmer als das schlimmste Entsetzen. Das war wie Aufwachen von einem Albtraum und erkennen, dass das Ding aus dem Albtraum einem nach draußen gefolgt war, dass es durch den Flur rumpelte und einen packen wollte, einen halten, während es lachte und stöhnte und man selbst schrie und schrie und den Verstand verlor.
»Wir können viel von den Tieren lernen, Sarah. Mitleid, ob für sich selbst oder für andere, ist nutzlos. Das Leben geht weiter, ob wir sterben oder nicht, ob wir glücklich sind oder unglücklich. Dem Leben ist es egal. Skrupellosigkeit, das ist eine nützliche Emotion. Gott ist ohne Skrupel. Das ist ein Teil seiner Schönheit und seiner Macht. Zu tun, was richtig ist, ohne Rücksicht auf die Toten und Unschuldigen.«
Er zögerte. Sarah konnte ihn beinahe atmen hören. Doch vor allem hörte sie ihr eigenes Herz, so laut, dass sie meinte, ihre Trommelfelle müssten davon platzen.
»Buster hatte kein Mitleid mit sich selbst, Sarah. Du sollst wissen, dass er sich ohne Zögern auf mich gestürzt hat. Er wusste, dass ich wegen dir gekommen bin, und er ging sofort auf mich los, ohne eine Spur von Angst. Er wollte mich töten, um dich zu retten.«
Eine weitere Pause. Dann ein lang anhaltendes, leises kichern.
»Ich möchte, dass du eines weißt, Sarah. Buster ist tot, weil er dich geliebt hat.«
Die Tür flog weit auf, und dort stand der Fremde, und er schleuderte etwas auf Sarahs Bett.
Das Licht aus dem Flur fiel auf den Gegenstand: Busters abgetrennter Kopf, die Zähne gebleckt, die Augen weiß vor rasender Wut.
In diesem Moment löste Sarah sich aus ihrer Starre. Sie schrie und schrie.
KAPITEL 20
»Du musst genau aufpassen, Sarah, und du musst zuhören. Das ist erst der Anfang.«
Sie waren im Wohnzimmer. Mommy und Daddy saßen auf Sesseln, Handschellen an Händen und Füßen. Sie waren nackt. Ihren Dad so zu sehen war Sarah peinlich und machte ihre Angst noch schlimmer. Doreen lag am Fußboden und beobachtete alles. Sie schien nicht zu merken, dass etwas nicht in Ordnung war.
Bleib liegen, Hündchen , dachte Sarah. Vielleicht tötet er dich dann nicht, wie er es mit Buster getan hat.
Sarah saß im Nachthemd auf dem Sofa, mit Handschellen gefesselt.
Der Fremde stand da, eine Waffe in den Händen. Er hatte eine Strumpfhose über den Kopf gezogen. Die Strumpfhose verzerrte seine Gesichtszüge. Es sah aus, als wäre es von der Hitze einer Fackel geschmolzen.
Ihre Angst war immer noch grauenhaft, doch sie hatte sich ein Stück von ihr entfernt. Es war wie ein Schrei in der Ferne. Es war ein erstarrtes, furchtbares Warten, während die Axt des Henkers am höchsten Punkt ihrer Bahn verharrte und in der Luft hing.
Sarahs Eltern hatten Angst. Ihre Münder waren mitKlebeband verschlossen, doch ihre Augen verrieten ihre Angst. Sarah spürte, dass sie mehr Angst um ihre Tochter hatten als um sich selbst.
Der Fremde ging zu ihrem Daddy und beugte sich vor, sodass er ihm in die Augen sehen konnte.
»Ich weiß, was du denkst, Sam«, sagte er. »Du willst wissen warum? Ich würde dir gern eine Antwort darauf geben. Ehrlich. Ich wünsche es mir selbst mehr als alles andere. Aber Sarah hört zu, verstehst du? Und sie könnte es später anderen erzählen. Meine Geschichte darf aber nicht erzählt werden, bevor sie nicht zu Ende ist.
Ich sag dir was, Sam. Es ist nicht deine Schuld, aber dein Tod ist meine Gerechtigkeit. Es ist auch nicht Sarahs Schuld, aber ihr Schmerz ist meine Gerechtigkeit. Ich weiß, dass du das nicht verstehst. Aber das ist in Ordnung, Sam. Du musst es nicht verstehen. Du musst nur eines wissen: Was ich dir gesagt habe, ist die Wahrheit.«
Er richtete sich wieder auf.
»Reden wir über Schmerz. Schmerz ist eine Form von Energie. Er kann erzeugt werden wie Elektrizität. Er kann fließen wie Strom. Er kann gleichmäßig sein oder pulsierend. Er kann stark und überwältigend sein, oder schwach und störend. Schmerz kann einen Mann zum Reden bringen. Was viele Menschen nicht wissen
Weitere Kostenlose Bücher