Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
konnte.
Selbst der Fremde verzog das Gesicht bei diesem Heulen. Nur ein klein wenig. Es war wie körperliche Gewalt.
SarahSamSarahSamSarahSamSarah
Blitz.
Der Schuss hallte durch den Raum, ein leiser, gedämpfter Donnerschlag.
Sarah hörte für einen Moment auf zu schaukeln.
Die linke Seite von Lindas Kopf explodierte.
Linda hatte sich geirrt.
Ihr letzter Gedanke war nicht der an den Tod des Fremden gewesen.
Ihr letzter Gedanke war Liebe gewesen.
Hey, ich bin’s, die Sarah von heute. Ich schreibe über die Vergangenheit und mache hin und wieder einen Sprung in die Gegenwart. Es ist die einzige Möglichkeit, wie ich das hier schaffen kann. Was meine Mom angeht – vielleicht war ihre letzte Empf indung Angst, vielleicht empfand sie gar nichts. Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht wissen. Sie war da und Daddy war da und ich war da und der Künstler war da, das alles stimmt. Er zwang meine Eltern, sich zu töten, während ich zusehen musste. Ob es wahr ist, dass meine Mommy am Ende so tapfer war, allein in ihrem Kopf? Ich weiß es nicht.
Genauso wenig wie Sie.
Ich weiß nur, dass meine Mom voller Liebe war. Sie sagte immer, dass ihre Familie ein Teil ihrer Kunst sei. Sie sagte, ohne Daddy und mich würde sie immer noch malen, doch die Farben wären ganz andere. Dunkel.
Ich würde gerne denken, dass sie Gewissheit hatte in diesem letzten Augenblick. Die Gewissheit, mir das Leben zu retten.
Ich weiß nicht, ob ihr letzter Gedanke Liebe war. Ihr letzter Akt war es auf jeden Fall.
KAPITEL 23
Ich schließe Sarahs Tagebuch mit zitternden Händen und werfe einen Blick auf meine Nachttischuhr. Es ist drei Uhr morgens.
Ich brauche eine Pause. Ich bin gerade erst am Anfang von Sarahs Geschichte, und ich bin schon jetzt erschüttert und rastlos. Sie hat sich nicht getäuscht. Sie hat Talent. Sie schreibt allzu lebendig. Das glückliche, unbeschwerte Leben von früher steht in scharfem Kontrast zu dem bitteren Humor ihrer Einleitung. Ich fühle mich traurig, schmutzig, niedergeschmettert.
Wie hat sie es genannt? Einen Trip zum Wasserloch.
Ich kann es vor meinem geistigen Auge sehen. Ein obszöner Vollmond am Himmel, dunkle Kreaturen, die verpestetes Wasser trinken …
Ich erschauere, weil ich spüre, wie die Angst in mir aufsteigt. Schlimme Dinge, die Sarah zustoßen, nur einen Schritt entfernt von den schlimmen Dingen, die Bonnie zugestoßen sind …
Ich werfe einen Blick zu Bonnie. Sie schläft tief und fest, das Gesicht entspannt, ein Arm über meinem Bauch. Ich löse mich vorsichtig von ihr, hebe ihren Arm mit der gleichen sanften Vorsicht von mir, als wäre es ein Marienkäfer, den ich in meinem Garten in die Freiheit entlasse. Bonnie öffnet kurz den Mund, dann rollt sie sich zusammen und schläft weiter.
Zu Anfang ist sie bei der kleinsten Bewegung aufgewacht, bei der kleinsten Veränderung. Dass sie inzwischen friedlich weiterschlafen kann, dämpft meine Sorgen ein wenig. Es geht ihr allmählich besser. Sie spricht immer noch nicht, doch es geht ihr besser. Wenn ich sie nur irgendwie am Leben erhalten kann …
Ich gleite aus dem Bett und schleiche auf Zehenspitzen ausmeinem Schlafzimmer, die Treppe hinunter und in die Küche. Ich greife in das Fach über dem Kühlschrank und finde mein geheimes Laster und meine kleine Schande. Eine Flasche Tequila. Jose Cuervo, ein guter Freund von mir, genau wie in dem Song.
Ich schaue die Flasche an und sage mir: Du bist keine Alkoholikerin.
Ich habe viel Zeit damit verbracht, über diese Aussage nachzudenken. Ungefähr in der Art, wie alle Verrückten sagen, dass sie nicht verrückt sind. Ich habe mich analysiert, ohne im Zweifel für mich zu sprechen, und bin zu folgendem Schluss gelangt: Ich bin keine Alkoholikerin. Ich trinke zwei-, dreimal im Monat. Ich trinke niemals zwei Tage hintereinander. Ich trinke so lange, bis ich eine angenehme Betäubung spüre, doch nicht mehr. Niemals so viel, bis ich wirklich betrunken bin.
Doch es steckt eine Wahrheit dahinter, ein großer, greller Elefant mitten im Raum: Ich habe niemals getrunken, um mich zu trösten, als Matt und Alexa noch lebten. Niemals, nicht ein einziges verdammtes Mal, nein, Sir.
Das macht mir Sorgen.
Ich hatte einen Großonkel väterlicherseits, der alkoholkrank war. Er war nicht der lustige, charmante, freundliche betrunkene Onkel. Er war nicht der künstlerisch veranlagte, sich selbst quälende, bemitleidenswerte betrunkene Onkel. Er war peinlich und gewalttätig und gemein. Er stank nach
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